Wirtschaftsethnologie (4): kapitalistische Indianer

Potlatch

Eine extreme Form von Gabenaustausch ist das Potlatch der Kwakiutl-Indianer im NW Nordamerikas und ihrer Nachbargruppen. Er ist kaum mit dem Kula zu vergleichen, da es viel mehr auf Konkurrenz ausgeht statt auf Partnerschaft. Man muss den anderen übertreffen, Gaben werden vor aller Augen gar zerstört, um seinen Reichtum zu demonstrieren.

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Diese Form von "Tausch" macht nur in hierarchischen Gesellschaften Sinn. Bei den Kwakiutl diente das Potlatch dazu, seine persönliche gesellschaftliche Position zu verteidigen und zu verbessern, unter anderem durch den Erwerb von Namen und Titeln. Er war gleichzeitig eine Form von Investition und Sozialversicherung und kurbelte die Produktion an.

Die Kwakiutl waren viel hierarchischer organisiert als sonst unter Jäger- und Fischergesellschaften üblich. Sie hatten aristokratische Abstammungslinien und Häuptlinge, früher hielten sie Sklaven. Die Grenzen zu den weniger Priveligierten waren scharf. Sie unterschieden sich von anderen Indianern Nordamerikas: Ihre Ökonomie war auf das Meer fixiert, spezialisiert auf Fischfang, Muscheln und Meeressäuger. Das Meer bot mehr als sie brauchten und bildete die Grundlage für dauerhafte Siedlungen am selben Ort. Die Idee von Privatbesitz war verbreitet, auch auf Land und Naturressourcen bezogen – dies war alles im Besitz des Adels.

Jeden Winter luden die Häuptlinge sich zu gediegenen Festen ein. Essen und Trinken wurden in übermässigen Mengen serviert, sie zerstörten gar Werte wie Kupferplatten. Sie warfen grosse Mengen an gesalzenem Fisch fort und zündeten Decken und Zelte an. Boas schreibt, dass sie früher gar Sklaven ins Meer warfen. Auf diese Weise demonstrierten sie einander ihren Reichtum: es machte ihnen nichts aus, Ressourcen zu verschwenden, so gut ging es ihnen.

Thomas Hylland Eriksen beschreibt Potlatch als angeberischen, zur Schau stellenden Verbrauch – etwas das wir in abgeschwächter Form auch bei uns kennen, indem wir uns z.B. bei Essenseinladungen gegenseitig übertrumpfen.

Potlatch ist jedoch nicht nur ein Aspekt von Verbrauch. Potlatch ist ein Beispiel eines Systems mit sehr ungleichem Zugang zu Reichtum. Abhängige müssen für den Ueberfluss der Priveligierten arbeiten. Jeder Häuptling muss Leute haben, die für ihn diese Werte produzieren.

Potlatch baut eigentlich auf kapitalistischen Prinzipen des Wettbewerbs auf, wie dies George Gilder beschreibt. Basis seiner Argumentation sind Werke von Herskovits, Harris und Codere.

Er schreibt, Kapitalismus beginne mit Geben. Die Kapitalisten traditioneller Gesellschaften seien Häuptlinge, die einander übertrumpften, indem sie füreinander Feste veranstalteten. Aehnlich habe Handel begonnen. Familien boten einander etwas an. Diese Gaben wurden mit der Hoffnung auf Gegengabe gegeben. Beim Potlatch kann man nur auf eine grössere Gegengabe hoffen, wenn man die Bedürfnisse und Wünsche des anderen verstanden hat oder geweckt hat. Diese Gaben, schreibt er, seien Investitionen. Wie diese Gaben würden Investitionen im Kapitalismus ohne vorbestimmte Gegenleistung getätigt (erwartet werden sie dagegen schon!).

Franz Boas interpretierte den Potlatch ähnlich. Er sah ihn nicht nur als Investition, sondern auch als Sozialversicherung. Der Veranstalter eines Potlatch, schreibt er, will die Früchte seiner Arbeit so anlegen, dass er für sich und seine Kinder den grösst möglichen Nutzen daraus zieht:
"Diejenigen, die bei einem solchen Fest Geschenke erhalten, nehmen sie als Darlehen, welches sie bei laufenden Unternehmungen verwenden; doch nach einigen Jahren müssen sie es dem Geber oder seinen Erben mit Zins zurück geben. So wird der Potlatch schliesslich als Mittel angesehen, das Wohl der Kinder zu sichern, falls diese in jugendlichem Alter Waisen werden sollten."

Die Aehnlichkeiten mit dem Kapitalismus verwundern nicht, schaut man auf den geschichtlichen Hintergrund. Potlatch wurde erst richtig gross durch die vielen Waren, welche mit der Kolonialisierung durch Europäer in ihrem Gebiet neu hinzu kamen. Potlatch war vor der Kolonialisierung keine distinkte Institution und war vor allem nicht mit dem System des sozialen Rangs verknüpft. Das passierte erst mit dem gestiegenen Wohlstand und dem Herausbilden einer wirtschaftlichen Elite. Mit der Wirtschaftskrise in den 1920er-Jahren in den USA brach das System zusammen, es war ohnehin verboten worden, da die Behörden Rituale missverstanden und als Kannibalismus deuteten. Potlatch lebte jedoch in verschiedenen Formen weiter - bis heute.

Potlatch ist eine Form von Redistribution - Punkt 2 in der Liste im Kapitel 2. Von dem Güteraustausch profitieren auch gewöhnliche Leute. Wie beim Kula gehört es zum guten Ton, Besitz nicht anzuhäufen, sondern weiter zu geben.

Abschliessend ein paar Stichworte zum grössten Potlatch im Jahr 1921: Es dauerte mehrere Tage, zwischen 300 und 400 Leute nahmen teil. Am ersten Tag werden Reden geschwungen, wo der Rivale auf ritualisierte Form beschämt und verhöhnt wird ("Ich bin der grosse Häuptling, der die Leute beschämt"). An den folgenden Tagen teilt er aus: Teppiche, Kanus, Schmuck, Gaslichter, Violinen, Nähmaschinen, Möbel, Geld, 1000 Säcke Mehl, einen Stapel Sachen für seine eigenen Leute als "return for favors": Kleider und Schmuck für Frauen, Sweaters und Hemden für junge Leute.

27.1.07: Kommentar von Alexa (via e-mail)

"Nach dem neuesten Stand der Forschung ist der Potlatch nicht auf der Grundlage der Verschwendung von Gütern aufgebaut. Auch in vorkolonialer Zeit stand der Potlatch in engem Zusammenhang mit Rang und Prestige. Die Hauptfunktion, nicht wie Boas es fälschlicherweise interpretierte, bestand darin die Stellung innerhalb der Gesellschaft zu bestätigen nicht sie zu erlangen. Es war ein komplexes Statussystem, das hinter der Institution des Potlatches stand. Siehe die neueren Forschungen von Philip Drucker, z.b. "to make my name good".




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Lorenz Khazaleh, Januar 2001, November 2002, Ende Februar 2004

:MENUE WIRTSCHAFTSETHNOLOGIE:


Teil 1: Einführung

Teil 2: Tauschformen

Teil 3: Kula auf Trobriand

Teil 4: Potlatch bei den Kwiakiutl in NW-Amerika

Teil 5: Moka in Papua Neu-Guinea

Teil 6: Pig and Cattle-Complex bei den Nuern im Sudan

Teil 7: Kapitalismus und Tiv-Oekonomie in Nigeria

» DRUCKVERSION (gesamter Text, 9 Seiten, 48kb)




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:MEHR IM NETZ ZUM THEMA:


Bierduschen - Potlatch im Fussball: Warum sich ein neues Ritual im Fußball durchgesetzt hat (Die Zeit, 21/2005)

Online-Ausstellung ueber das Potlatch damals und heute (Peabody Museum of Archaeology and Ethnology)

Infos ueber die Kwakiutl (mit Bildern) (curtis-collection.com)

Die hohe Bedeutung des Kupfers bei den Kwakiutl (Don Macnaughtan, Lane College)

Potlatch und Kapitalismus (George Gilder, libertyhaven.com)

Wikipedia zum Potlatch


letzter Link-check: 27.1.07