Inuit und die Arktis (6) - Wirtschaftsformen


Wie erwähnt unterscheidet sich die Wirtschaft je nach geografischer Lage. Ich werde drei Formen der Nahrungsbeschaffung beschreiben: die Atemlochjagd nach Seehunden, die Karibujagd und die Jagd auf Meeressäuger im offenen Wasser mit dem Kayak. Gemein ist ihnen das regelmässige Wechseln des Wohnortes.


Die Atemlochjagd

Die Netsilik sind infolge Knud Rasmussen Spezialisten in der Atemlochjagd. Sie ziehen im Winter an die Küste. So funktioniert die Jagd: Man stösst eine Harpune durch das Atemloch, das der Seehund auch im tiefsten Winter offen hält. Wenn er weg schwimmt, friert es zu, er muss es jedes Mal aufs Neue öffnen. Er hält sich 10 Minuten zum Atmen auf. Die Netsilik haben Geräte, die das Kommen der Seehunde anzeigen. Wenn er atmet macht der Seehund viel Lärm und hört nicht gut - das muss man ausnutzen!

Doch diese Jagdmethode ist nicht so einfach wie es scheint. Auch clevere Jäger erlegen nicht mehr als 20 bis 30 Seehunde pro Winter. Ein Problem: Man muss die Atemlöcher erst finden. Wichtige Helfer sind die Hunde. Ohne sie wäre die Suche beinahe aussichtslos, denn es gibt nur wenige Löcher und wo soll man da anfangen zu suchen? Manchmal helfen ihnen ungewollt die Füchse, die besonders gerne auf dem Eisdom über dem Loch ihr Geschäft verrichten! Rasmussen beschreibt, wie sie einmal drei Stunden brauchten, um ein Loch zu finden. Dann untersucht man das Loch, um heraus zu finden, in welcher Richtung man zustossen muss, platziert den Anzeiger - ja, und dann ist Warten angesagt. Stundenlanges Warten, die Harpune in der Hand - und das bei -50 Grad (Bilder einer heutigen Jagd). Bei einer Jagd, wo Rasmussen dabei war, erlegten 15 Männer gerade mal einen Seehund. Bei den Polar Inuit seien die Verhältnisse besser, wo man 10 mal soviel Seehunde fängt, infolge Rasmussen.

Im Frühjahr gibt es eine listigere Alternative. Man schafft künstliche Atemlöcher. Man baut dazu ein Iglu über Risse im Eis. Sobald solche Risse auftauchen, verlassen Seehunde die Atemlöcher und atmen an ihnen. Wenn die Seehunde auftauchen, zustossen!

Jagd auf dem Festland: Karibus, Eisbären, Moschusochsen und Fischfang

Das Karibu ist für alle Inuitgruppen wichtig - des Fleisches und des Felles wegen. Am besten jagt man es im Sommer, da das Krachen des gefrorenen Schnees die Jäger verrät. Ausserdem ist der Winter Zeit für die Seehundjagd. Und nach den einheimischen religiösen Vorstellungen muss man die Land- und Seetierjagd auseinander halten. Birket-Smith schreibt, dass man die Karibus im Winter in Fallgruben gefangen hätte, mit Urin als Lockmittel. Im Sommer treten sie in grösseren Mengen auf. Die Karibus wandern auf festen Routen, die Inuit passen sie da ab. Karibus werden zu den Seen getrieben und mit Kayaks und Lanzen verfolgt. Eine Alternative: Kinder und Frauen treiben sie in eine eigens dafür angertigte Einzäunung und jagen sie mit Pfeil und Bogen.

Eine ähnliche Technik wenden sie auch beim Fischfang an. Im Sommer, wenn die Forelle zum Laichen die Flüsse hinauf steigt, werden die Flussmündungen bei Ebbe mit Hilfe von Wehren mit Steinen abgesperrt, die innen eine Fläche einschliessen, in der die Fische leicht gespeert werden können.

Für die Inlandbewohner, die Caribou Inuit, ist das Karibu besonders wichtig, da nur ein Drittel der Caribu Inuit auf Jagd an die Küste geht. Die Herbstjagd bildet die Nahrungsgrundlage für das kommende Jahr, zumindest bis zum Frühjahr, weil dann die nächsten Karibus durchziehen. Forellen fischen sie dann auch fleissig. Das Schneehuhn hilft, die Vorräte zu strecken. Wegen ihrer Binnenland-Orientierung benutzen die Caribou-Inuit nicht Tran, sondern Rentierfett für ihre Lampe.

Birket-Smith hatte den Eindruck, die Caribou Inuit würden nicht genügend vorsorgen. In jedem Winter würde es Hunger-Perioden geben, denen eine oder zwei Familien zum Opfer fallen. Sogar Kannibalismus würde vorkommen, Birket-Smith zufolge.

Brody weist darauf hin, dass Hungerperioden bei den kanadischen Inuit teils von europäischen Kolonisatoren verschuldet wurden. So ermunterte 1820 die Hudson Bay Company die Inuit, im Winter nicht ihre Jagdgebiete auf zu suchen, sondern Fallen zu stellen. Das führte in machen Orten zu Hunger. Die Aktivitäten der Europäer verringerten ausserdem den Wildbestand. Der Walbestand wurde im 19. Jahrhundert fast vollständig ausgerottet, den Bestand an Walrossen um 80% reduziert. Seiner Meinung nach haben Ethnologen Jagdkulturen nie richtig verstanden, wenn sie sie als eine unsichere "catch-as-catch-can-existence" beschrieben.

Seit dem zweiten Weltkrieg wurde der Fang von Wild und Meerestieren immer mehr gesetzlichen Bestimmungen unterlegt. Eisbären und Moschusochsen erlegt man mit Hilfe von Hunden - jedenfalls bevor man Gewehre hatte. Man liess sie von Hunden einkreisen und erlegte den Eisbaer mit Lanzen.

Der Polarfuchs ist der Hauptgrund, weshalb sich die Hudson Bay Company für die kanadische Arktis interessierte. Er hat deshalb in der Inuit-Oekonomie ausserordentlich an Wert gewonnen, da er sie mit Produkten der Aussenwelt versorgt. Gefangen wurde er mit Fallgruben und mit Fuchseisen (mehr zu Wal- und Robbenfang).



:INHALT INUIT UND DIE ARKTIS:

Teil 1: Wer sind die Inuit - ein Überblick

Teil 2: Inuit in Grönland und Polar Eskimo

Teil 3: Inuit in Kanada und Central Eskimo

Teil 4: Schutz gegen Kälte: Kleidung und Iglus

Teil 5: Transport: Hundeschlitten und Kayak

Teil 6: Wirtschaft: Atemlochjagd, Karibujagd, Jagd mit Kayak

Teil 7: Gesellschaftsordnung und Schamanismus

Teil 8: Inuit am Pazifik

Teil 9: Inuit in Asien




:MEHR DAZU IM NETZ:

Bilder einer heutigen Atemlochjagd (phe.ch)

Die Arktis ist dabei, sich zu verändern: Wirtschaft und Umwelt in der Arktis (Marc Nuttall, thearctic.is)

Wirtschaft und Umwelt in der Arktis (englischsprachige Artikelsammlung, arcticcircle.uconn.edu)

Kannibalismus bei den Inuit? (RACHEL ATTITUQ QITSUALIK, Nunatsiaq News, 27.8.99)

Info-Sammlung zu Karibous und Rentieren (explorenorth.com)

Artikelsammlung zum Wal- und Robbenfang (highnorth.no, auf Deutsch)

Inuit and Polar Bears (polarbearsalive.org)

Wirtschaftsethnologie - eine Einfuehrung (eigener Text)

Link-check: 1.1.04