Kapitel 2:

Hip-Hop und Ethnologie

“Anthropology – the study of humankind – has dealt mostly with men, increasingly with women, and to some degree with children and old people, but very little with youth“ (Helena Wulff 1995:1)


Eine ethnologische Feldforschung über Hip-Hop? Für manche Kolleginnen und Kollegen tönte das widersprüchlich. Was hat denn Hip-Hop mit Ethnologie zu tun? Und wie kann man unter Hip-Hoppern Feldforschung betreiben?

Ethnologie hat sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert als ein Fach entwickelt, das hauptsächlich “exotische Stämme“ studierte. Es gab zwei Gründe dafür, die beide kein gutes Licht auf das Fach werfen:


Neben dieser kulturhistorisch-dokumentarisch ausgerichteten Ethnologie existiert eine Ethnologie, die Phänomene der Gegenwart studiert, gerne auch in der “eigenen Gesellschaft“ (was “eigen“ ist und was nicht, ist relativ, siehe Kap.3 und 5). Sie ist im deutschsprachigen Raum weniger verbreitet, aber im Kommen.

In den 1920er-Jahren zum Beispiel untersuchte die Chicago-School die Folgen der raschen Verstädterung in den USA (siehe HANNERZ 1980). Eine der bekanntesten urbanethnologischen Arbeiten ist die Forschung von William Foote Whyte ("Street Corner Society" in einem italienischen Slum in den USA (WHYTE 1943). In letzter Zeit entstanden Studien über Punks in Norwegen (KROGSTAD 1986), arme Leute in Kairo (WIKAN 1996), über Drogendealer in New York (BOURGOIS 1995), Pub-Leben in Belfast (LUNDH 1994) und inzwischen gar über Internetnutzer in Chatrooms (MARKHAM 1998). Der Themenbereich ist unendlich. Selbst “Kreativität“ kann man ethnologisch untersuchen, z.B. in einem Kindergarten (VESTEL 1992).

Die schwammigste, dennoch vielleicht beste Grundregel hat Hans Christian Sörhaug aufgestellt: Zur Ethnologie “kann man mit allem möglichen kommen, solange es sich um Menschen handelt“ (NIELSEN 1996:68). Ethnologie ist das Studium vom Leben der Menschen auf der ganzen Welt – gerne aus der Perspektive von Individuen. In Vergleichen mit Verhältnissen in anderen Ecken der Welt stellt man Theorien “über das Menschsein“ auf: Wie sind wir? Warum sind wir so? Geht es auch anders?



Musik ist mehr als Sound...

Ich denke, mit dieser Definition von Ethnologie bekommt das Studium von Hip-Hop seine Berechtigung. Hip-Hop ist eine der am weitesten verbreiteten Ausdrucksformen junger Leute auf der ganzen Welt. Jugendliche auf Island fühlen sich zur Hip-Hop-Kultur hingezogen, genauso wie in der Dominikanischen Republik, in der Türkei, den USA und der Schweiz. Selbst in einem kleinen Bergdorf in den ukrainischen Karpaten entdeckte ich ein Graffiti. Sogar im Albanien der 80er-Jahre, als es noch hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt war, gab es eine lebhafte Breakdance-Szene, wie mir kürzlich Risa, ein aus dem Kosovo stammender Breakdancer, erzählte. Tricia Rose, Autorin eines der wenigen wissenschaftlichen Hip-Hop-Bücher, meint, Hip-Hop sei “das zentrale Ausdrucksmittel, mit dem sich junge Leute mit ihrer Gesellschaft auseinander setzen“ (ROSE 1994:20).

“Sag mir, welche Musik du hörst (oder machst), und ich sage dir, wer du bist.“ Musik ist mehr als Sound oder Unterhaltung. Für Leute zwischen 12 und 25 ist es mit Sport das, wofür sie sich am meisten interessieren. Die Musik, die man hört, hängt mit der eigenen Persönlichkeit zusammen, mit der persönlichen Geschichte, der Position in der Gesellschaft. Musik ist wie jede andere künstlerische Ausdrucksform ein Zeichen der jeweiligen Zeit.

Ebenso haben bestimmte gesellschaftliche Gruppen ihre eigene Musik. Um Musik oder bestimmte Musiker herum sammelt sich eine Fan-Schar, eine Szene entsteht. Musik wird Teil einer Weltanschauung. Man denke an die 68er-Hippies und Woodstock-Generation oder die Punks. Musik hat etwas mit Gesellschaftsklasse zu tun. Intellektuelle legen zum Sonntags-Brunch Jazz und nicht Heavy-Rock auf, zu Country-Musik-Konzerten kommen eher Leute aus den unteren, zu Konzerten mit klassischer Musik Leute aus den oberen Schichten.

Musik kann vereinen und trennen. Sie kann Massen mobilisieren, wenn sie zu Konzerten Leute mehrere hundert Kilometer anreisen lässt oder Aktionen wie “Live Aid“ gegen den Hunger in Afrika starten. Sie kann Distanz zwischen Leuten herstellen mit verschiedenem Geschmack im Sinne von “Mit Leuten, die die Backstreet Boys hören, will ich nichts zu tun haben“ oder wenn es darum geht, abends gemeinsam weg zu gehen (“Ich mag aber keine klassische Musik“ / “Nein, in der Disco kommt nur bescheuerte Musik“). Helena Helve (1993:92) fand in ihrer Untersuchung über Jugendliche in Helsinki heraus, dass Musik ein sehr trennender Faktor unter jungen Leuten ist.

Musik ist auch Erinnerung. Jeder hat ein, zwei drei Lieder, mit denen er zentrale Situationen in seinem Leben in Verbindung bringt. Kürzlich war ich zu Besuch bei einem 35 Jahre alten Kollegen. Er spielte mir fast den ganzen Abend nur einen Titel von Donovan vor. Aus Nostalgie! Der Titel erinnerte ihn daran, wie er in Lugano Haschisch rauchend im Park lag, erklärte er mir.

Musik hören wir, um uns zu entspannen, abzuregen, besser lernen zu können, uns zu berauschen, zu tanzen und zu flirten oder einfach nur, um sie zu geniessen. Sklaven sangen, um die Arbeit erträglicher zu machen, Rentierjäger, um sich wachzuhalten. Musik gibt es in den unterschiedlichsten Formen auf der ganzen Welt. Musik ist etwas Universelles, ein menschlicher Ausdruck, den man unabhängig von Herkunft verstehen kann, wenn man will. Nichts zeigt das besser als die Popularität von World-Music. Man muss nicht Samisch oder Portugiesisch können, um bei der Musik von Mari Boine oder Cesaria Evora ergriffen zu werden. Musik ist die universelle Sprache der Menschheit.


...doch wo bleibt die Wissenschaft?

Das wissenschaftliche Interesse an Populär- oder Volksmusik (Pop, Rock, Jazz, Blues, Volkslieder) ist in der Vergangenheit gering gewesen. In letzter Zeit ist es jedoch etwas gewachsen. Das Desinteresse hat meine Arbeit erschwert. Das einzige Werk über die Geschichte der Populärmusik entdeckte ich beim Stöbern in Norwegen. Selbst im Stammland dieser Musik, in England, konnte ich keines auftreiben. In ihrem Vorwort schreiben die Autoren Yngve Blokhus und Audun Molde: “Es gab kein Buch mit einer ganzheitlichen Darstellung von der Geschichte der Populärmusik. Diese erstaunliche Tatsache gab uns die Inspiration, mit der Arbeit an diesem Buch zu starten“ (BLOKHUS und MOLDE 1996:5).

Im ersten Kapitel liefern sie mögliche Gründe dieses Desinteresses. Die Gelehrten unterschieden schon lange zwischen Volksmusik und Kunstmusik. Volksmusik hören die meisten Leute, Kunstmusik die kulturelle Elite. Kunstmusik wurde ökonomisch vom Adel, der Oberklasse oder der Kirche unterstützt, heute tut dies die öffentliche Hand – ökonomisch und ideologisch. Kunstmusik hat den Status bekommen, etwas Hochwertiges zu sein. Etwas, das den Geist und Intellekt anspricht und das mit Respekt und in Andacht angehört werden soll. Kunstmusik ist zeitlos. Volksmusik dagegen ist nur zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib da. Damit sie jeder versteht, ist sie einfach und oberflächlich. Sie hat keinen Anspruch auf Zeitlosigkeit, denn sie wechselt mit Moden und Trends.

In der westlichen Welt, schreiben sie, seien zudem Werte wie Unterhaltung, Gemeinschaft, kreative Lebenslust und Relaxen traditionell als weniger hochwertig angesehen worden wie geistige oder intellektuelle Beschäftigungen. Populärmusik wurde von der Gesellschafts- und Kulturelite deshalb häufig als platt, unmoralisch und gefährlich dargestellt (BLOKHUS und MOLDE 1996:19-20).

Hip-Hop ist da keine Ausnahme. In den Medien ist Hip-Hop oft mit Gewalt in Verbindung gebracht worden, mit jungen randalierenden Ausländern, die ihren Frust abreagieren wollen mit dem Vorbild der Bronx in New York. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese Klischees teilweise wiederholt. Viele Studien gibt es nicht, die meisten sind in den vergangenen fünf Jahren herausbekommen. “Eine wissenschaftliche Debatte über Hip-Hop existiert nicht“, schreibt Dietmar Hüser, Historiker an der Uni Saarbrücken in einem Aufsatz über Rap in Frankreich (Link zum Artikel).

Interessanterweise ist das Thema bei amerikanischen Studenten arg im Kommen. Im Internet habe ich unzählige Anfragen von Studenten an Schwarzen Blättern entdeckt im Stil von “Ich schreibe gerade eine Arbeit über Hip-Hop. Wer weiss etwas über die Geschichte des Hip-Hop?“ Dort sind auch schon einige Dissertationen darüber geschrieben worden (für eine gute Bibliografie siehe die Seiten des Simmons College).

Tricia Rose gibt in “Black Noise: Rap Music and Black Culture in Contemporary America“ (1994) einen guten Überblick über die Entwicklung des Hip-Hop und stellt es in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang (Rassismus in den USA, Stadtplanung zu Lasten der Armen). Sie diskutiert die Gegensätzlichkeiten (z.B. Gangster- visa Bildungs-Rap), die Rolle der Medien, die Kommerzialisierung genauso wie Sexismus und Macho-Tum. Ein Kapitel hat sie allein Rap-Texten gewidmet. Basiswissen, vor allem über Rap-Musiker, vermittelt David Toop (1984 und 1994).

Das meiner Meinung nach schönste Buch hat US-Rapper KRS-ONE (1996) geschrieben. “The Science of Rap“ heisst es und ist eine Art Einführungsbuch für junge Rapperinnen und Rapper. Filosofische Betrachtungen darüber, was es heisst, ein guter Rapper zu sein, wechseln sich ab mit konkreten Tips und Einblicken in die Hip-Hop-Geschichte.

Das reichhaltigste Angebot an Informationen liefert das Internet. Dort habe ich auch die einzige ethnologische Untersuchung entdeckt - auf der Homepage eines sudanesischen Studenten in Jyväskylä/Finnland . Im Internet gibt es Info-Seiten über Hip-Hop, Politik und Geschichte (z.B. Seite von DaveyD), Infos über Szenen in der ganzen Welt, Graffiti-Gallerien, Lyrix-Archive usw, weitere Seiten siehe auch Reaktionen zu dieser Forschung in meinem alten Gästebuch).

Die Seiten und Adressen können schnell ändern, am besten testet man Suchmaschinen wie Google, Yahoo, Web.de oder Search.ch mit den Begriffen “Hip-Hop“, “Graffiti“ und so weiter aus. Mit ihnen bekommt man auch Adressen von Hip-Hop-Diskussionsgruppen. Mehr als genug Material für künftige Forschungen!

In Basel sind drei Arbeiten über Hip-Hop in Basel geschrieben worden – alle als Diplomarbeiten an der höheren Fachhochschule für Sozialarbeit.

Michael Fischli (1994) führte Interviews zum Thema: Ist Hip-Hop ein Ersatz für fehlende Geborgenheit im Elternhaus? Michael Frings (1997) Arbeit ist allgemeiner und offener, soll einen Überblick verschaffen. Die Interviewpartner in beiden Arbeiten stammen jedoch aus Jugendheimen und Arbeit-Erziehungsanstalten, in denen die Studenten ein Praktikum abgeleistet hatten – sind also wenig repräsentativ. Jacquelin Graf (1997) liefert eine historische Analyse. Sie betrachtet Hip-Hop als “Bewältigungsstrategie“, die es ermöglicht, mit schwierigen Lebensumständen zurecht zu kommen.


Die unsichtbare Jugend

Dass Hip-Hop noch kein Thema ist in der Ethnologie, verwundert mich nicht, sind junge Leute sowieso in den meisten Studien unsichtbar. Wenn sie vorkommen, dann meist als Menschen im Übergang vom Kind- zum Erwachsenensein (“auf der Suche nach seiner/ihrer Identität“) und nicht als Individuen, die ihr eigenes Ding machen.

Das hängt von der ethnologischen Wahrnehmung von Jugend zusammen. Jugendlichkeit wird meist negativ definiert: als vorübergehender Zustand, als “Suchen nach einer Identität“. Ziel der Entwicklung ist das Erwachsenensein, “der Krönung der Schöpfung“. Die Folge: Jugendliche werden nicht ernst genommen.

Ein Problem, besonders der älteren Ethnologie, ist Kulturfixiertheit. Das Interesse war auf Kultur einer Gruppe (“die Sioux-Indianer“) fixiert, und unter Kultur verstand man in erster Linie Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Und alle Mitglieder einer Gesellschaft “hätten“ dieselbe Kultur. In dieser Sichtweise sind junge Leute lediglich dazu da, das Erbe ihrer Grossväter weiterzuführen. Ältere Ethnologen wandten sich in ihrer Suche nach Daten hauptsächlich an alte Männer.

Im Vorwort zum Reader “Youth Cultures. A cross-cultural perspective“ kritisiert Helena Wulff die passive Rolle der Ethnologie in der Jugendforschung. Seit dem Beginn von Jugendkultur-Forschung in den 1950er-Jahren stammten die meisten Forschungen von Soziologen. Das sei immer noch der Fall. Sie kritisiert die Voreingenommenheit der Forschenden: Sie betrachteten jugendliche Aktivitäten stets als Protest gegenüber der Erwachsenwelt. Sie behandeln Jugendliche von vornherein als Abweichler, als Delinquenten.

Viele Studien, so Wulff weiter, seien zudem gemacht worden, um “Jugendprobleme“ aus der Sicht von Erwachsenen zu lösen. Ein Problem vieler Studien sei der Abstand zwischen Forschenden und den Jugendlichen - nicht nur den Lebensstil betreffend, sondern auch vom Alter her (WULFF 1995:2-8). “Bis heute bilden die Erwachsenen die Perspektive, unter denen andere Kulturen untersucht werden“, stellen auch Marie-José van de Loo und Margarete Reinhart in ihre Einleitung zum Reader über Kinder in der Ethnologie fest.

Was sie über Kinder schreiben, lässt sich meiner Meinung nach gut auf Jugendliche in der Ethnologie übertragen: Sie “werden behandelt, sie handeln nicht selbst, sie werden nur beobachtet und selten befragt, es wird über sie geredet, sie reden nicht selbst, und man bemüht sich nicht, die ihnen eigenen Ausdrucksformen zu verstehen“ (van de LOO und REINHART 1993:7-8).


Erwachsenenzentriertheit

Diese Erwachsenenzentrierheit ist in vielen Artikeln im “Kursbuch Jugendkultur“ (1997) spürbar, besonders bei deutschsprachigen Autoren. Dabei wollten die Herausgeber vom SpoKK (Arbeitsgruppe für symbolische Politik, Kultur und Kommunikation) gerade dem entgegenwirken. Weit mehr als 30 Autoren schreiben über Skinheads, Punks, Hip-Hopper, über Jugendkultur und Weiblichkeit, Hooligans, Boygroups und ihre Fans oder die erste Cybergeneration.

Das Buch ist nützlich für ältere Erwachsene, um einen Überblick zu bekommen (“Na, womit beschäftigt sich denn unsere Jugend von heute so?“), den Alltag von Jugendlichen bringt es einem kaum näher. Nur selten kommen junge Leute selber zu Wort und nur selten setzt sich ein Forscher dem jugendlichen Leben so aus wie Andre Lützen, der zwei Graffiti-Künstler begleitete, während sie beim Fahren einen Zug besprühten oder Monja Messner, die Mädchen mit in Boygroup-Konzerten hinein begleitete.

Viele dieser Texte, merkte ich schnell, richten sich ausschliesslich an ein spezialisiertes Publikum in der Wissenschaft. Ihre Informationen bezogen sie zum grossen Teil aus zweiter Hand, hauptsächlich von anderen Autoren. Oft sind ihre Schlüsse nicht nachvollziehbar, da sie ihren Forschungs- und Denkprozess nicht offenlegen. Gelegentlich musste ich laut auflachen, so ungewollt komisch waren manche Formulierungen, die die Gelehrten, in ihrem Lehnstuhl sitzend (so wirkte es jedenfalls auf mich), über die Jugend von sich gaben. Ein Beispiel: Ralf Vollbrecht zitiert den Soziologen Hitzler zum Thema Schaffung von Lebensstilen. Es gilt,


Oft werden Phänomene der Jugendkultur anhand von Theorien erklärt. Wie einseitig und voraussehbar die Ergebnisse so werden, wird immer wieder im Kursbuch deutlich. Anne Krogstad (1986) heimste diese Herangehensweise bei den Punks in Oslo, die sie für ihre Lizenziatsarbeit in Ethnologie untersucht hatte, viel Kritik bei den Punks ein. Sie benutzte eine sogenannte Symboltheorie. Die Punks fanden die Theorie ungeeignet, sie habe der Forscherin den Blick auf wichtigere Dinge verstellt. “Spannend aussehende Menschen sind immer medien- und symboltheoriefreundlich. Das ist Exotisierung pur“ (LILLEVOLDEN 1988).


Es geht auch anders

In dem englischen Reader zeigt Helena Wulff, wie spannend Jugendforschung sein kann. Da gibt es Forschungsberichte über Themen wie multikulturelle Freundschaften, über Rai-Musik und Jugend in Algerien und über junge Männer aus Surinam in Amsterdam. All diesen Studien ist gemein, dass sie junge Leute als selbständig handelnde Menschen ansehen. Sie nehmen sie ernst. (Eigene) Empirie steht mindestens gleichberechtigt neben (fremder) Theorie, kein Artikel kommt ohne Zitate von jungen Leuten aus.

Anregend fand ich ferner die Lektüre von Arild Hovlands (1996) Forschung unter jungen Samen in Nordnorwegen, die auf 15-monatiger Feldforschung baut. Er nahm regelmässig an Sitzungen eines neuen samischen Jugendvereins teil, an Konferenzen, besuchte den Freizeitklub, las Schulaufsätze und Leserbriefe. Das Buch statte er reich mit Zitaten aus. Er präsentierte eine Lebenswelt, die in anderen Büchern über Samen oft vernachlässigt wurde.

Ein aussergewöhnliches Buch über eine türkische Jugendbande in Frankfurt am Main hat Herman Tertilt (1996) geschrieben. Über zwei Jahre lang begleitete er die Jugendlichen in ihrem Alltag. Nach der Kontaktaufnahme in einem Jugendhaus verbrachte er fast jeden Nachmittag und Abend mit den “Turkish Power Boys“ und besuchte sie sogar während ihres Urlaubs in der Türkei. Es gelang ihm, eine Vertrauensbasis aufzubauen, seine extra dafür erworbenen Türkisch-Kenntnisse waren von Vorteil. Er wurde zum Freund, dem die Jugendlichen auch um Rat und Hilfe bitten konnten. Grossen Raum räumt er den Portraits dreier Bandenmitglieder ein.

Diese Forscher benutzten die ethnologische Forschungsmethode der teilnehmenden Beobachtung. Diese werde ich im nächsten Kapitel erklären.