“Anthropology – the study of humankind – has dealt mostly with men,
increasingly with women, and to some degree with children and old people,
but very little with youth“ (Helena Wulff 1995:1)
Eine ethnologische Feldforschung über Hip-Hop? Für manche Kolleginnen und
Kollegen tönte das widersprüchlich. Was hat denn Hip-Hop mit Ethnologie zu
tun? Und wie kann man unter Hip-Hoppern Feldforschung betreiben?
Ethnologie hat sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert als ein
Fach entwickelt, das hauptsächlich “exotische Stämme“ studierte. Es gab zwei
Gründe dafür, die beide kein gutes Licht auf das Fach werfen:
(1) Man nahm
an, die “Wilden“, z.B. die Aboriginees in Australien, repräsentierten den
Urzustand der Menschheit. Wenn man sie ausforschte, so die Annahme,
könnte man mehr über unsere eigene Vergangenheit erfahren.
(2) Die
europäischen Grossmächte waren am Expandieren, errichteten Kolonien in
Gegenden, dessen Sprache und Gewohnheiten ihnen fremd waren. Nötig war
Wissen, um “die Eingeborenen“ zu kontrollieren. Heute studieren immer noch
einige Ethnologen “exotische Völker“, weil sie die kulturelle Vielfalt auf der
Welt dokumentieren möchten oder weil sie befürchten, “traditioneller Kultur“
drohe der Untergang.
Neben dieser kulturhistorisch-dokumentarisch
ausgerichteten Ethnologie existiert eine Ethnologie, die Phänomene der
Gegenwart studiert, gerne auch in der “eigenen Gesellschaft“ (was “eigen“ ist
und was nicht, ist relativ, siehe Kap.3 und 5). Sie ist im deutschsprachigen
Raum weniger verbreitet, aber im Kommen.
In den 1920er-Jahren zum Beispiel untersuchte die Chicago-School die Folgen
der raschen Verstädterung in den USA (siehe HANNERZ 1980). Eine der
bekanntesten urbanethnologischen Arbeiten ist die Forschung von William
Foote Whyte ("Street Corner Society" in einem italienischen Slum in den USA
(WHYTE 1943). In letzter Zeit entstanden Studien über Punks in Norwegen
(KROGSTAD 1986), arme Leute in Kairo (WIKAN 1996), über Drogendealer
in New York (BOURGOIS 1995), Pub-Leben in Belfast (LUNDH 1994) und
inzwischen gar über Internetnutzer in Chatrooms (MARKHAM 1998). Der
Themenbereich ist unendlich. Selbst “Kreativität“ kann man ethnologisch
untersuchen, z.B. in einem Kindergarten (VESTEL 1992).
Die schwammigste, dennoch vielleicht beste Grundregel hat Hans Christian
Sörhaug aufgestellt: Zur Ethnologie “kann man mit allem möglichen kommen,
solange es sich um Menschen handelt“ (NIELSEN 1996:68). Ethnologie ist
das Studium vom Leben der Menschen auf der ganzen Welt – gerne aus der
Perspektive von Individuen. In Vergleichen mit Verhältnissen in anderen
Ecken der Welt stellt man Theorien “über das Menschsein“ auf: Wie sind wir?
Warum sind wir so? Geht es auch anders?
Musik ist mehr als Sound...
Ich denke, mit dieser Definition von Ethnologie bekommt das Studium von
Hip-Hop seine Berechtigung. Hip-Hop ist eine der am weitesten verbreiteten
Ausdrucksformen junger Leute auf der ganzen Welt. Jugendliche auf Island
fühlen sich zur Hip-Hop-Kultur hingezogen, genauso wie in der
Dominikanischen Republik, in der Türkei, den USA und der Schweiz. Selbst in
einem kleinen Bergdorf in den ukrainischen Karpaten entdeckte ich ein
Graffiti. Sogar im Albanien der 80er-Jahre, als es noch hermetisch von der
Aussenwelt abgeriegelt war, gab es eine lebhafte Breakdance-Szene, wie mir
kürzlich Risa, ein aus dem Kosovo stammender Breakdancer, erzählte. Tricia
Rose, Autorin eines der wenigen wissenschaftlichen Hip-Hop-Bücher, meint,
Hip-Hop sei “das zentrale Ausdrucksmittel, mit dem sich junge Leute mit ihrer
Gesellschaft auseinander setzen“ (ROSE 1994:20).
“Sag mir, welche Musik du hörst (oder machst), und ich sage dir, wer du bist.“
Musik ist mehr als Sound oder Unterhaltung. Für Leute zwischen 12 und 25 ist
es mit Sport das, wofür sie sich am meisten interessieren. Die Musik, die man
hört, hängt mit der eigenen Persönlichkeit zusammen, mit der persönlichen
Geschichte, der Position in der Gesellschaft. Musik ist wie jede andere
künstlerische Ausdrucksform ein Zeichen der jeweiligen Zeit.
Ebenso haben bestimmte gesellschaftliche Gruppen ihre eigene Musik. Um
Musik oder bestimmte Musiker herum sammelt sich eine Fan-Schar, eine
Szene entsteht. Musik wird Teil einer Weltanschauung. Man denke an die
68er-Hippies und Woodstock-Generation oder die Punks. Musik hat etwas mit
Gesellschaftsklasse zu tun. Intellektuelle legen zum Sonntags-Brunch Jazz und
nicht Heavy-Rock auf, zu Country-Musik-Konzerten kommen eher Leute aus
den unteren, zu Konzerten mit klassischer Musik Leute aus den oberen
Schichten.
Musik kann vereinen und trennen. Sie kann Massen mobilisieren,
wenn sie zu Konzerten Leute mehrere hundert Kilometer anreisen lässt oder
Aktionen wie “Live Aid“ gegen den Hunger in Afrika starten. Sie kann Distanz
zwischen Leuten herstellen mit verschiedenem Geschmack im Sinne von “Mit
Leuten, die die Backstreet Boys hören, will ich nichts zu tun haben“ oder wenn
es darum geht, abends gemeinsam weg zu gehen (“Ich mag aber keine
klassische Musik“ / “Nein, in der Disco kommt nur bescheuerte Musik“).
Helena Helve (1993:92) fand in ihrer Untersuchung über Jugendliche in
Helsinki heraus, dass Musik ein sehr trennender Faktor unter jungen Leuten
ist.
Musik ist auch Erinnerung. Jeder hat ein, zwei drei Lieder, mit denen er
zentrale Situationen in seinem Leben in Verbindung bringt. Kürzlich war ich zu
Besuch bei einem 35 Jahre alten Kollegen. Er spielte mir fast den ganzen
Abend nur einen Titel von Donovan vor. Aus Nostalgie! Der Titel erinnerte ihn
daran, wie er in Lugano Haschisch rauchend im Park lag, erklärte er mir.
Musik hören wir, um uns zu entspannen, abzuregen, besser lernen zu können,
uns zu berauschen, zu tanzen und zu flirten oder einfach nur, um sie zu
geniessen. Sklaven sangen, um die Arbeit erträglicher zu machen,
Rentierjäger, um sich wachzuhalten. Musik gibt es in den unterschiedlichsten
Formen auf der ganzen Welt. Musik ist etwas Universelles, ein menschlicher
Ausdruck, den man unabhängig von Herkunft verstehen kann, wenn man will.
Nichts zeigt das besser als die Popularität von World-Music. Man muss nicht
Samisch oder Portugiesisch können, um bei der Musik von Mari Boine oder
Cesaria Evora ergriffen zu werden. Musik ist die universelle Sprache der
Menschheit.
...doch wo bleibt die Wissenschaft?
Das wissenschaftliche Interesse an Populär- oder Volksmusik (Pop, Rock,
Jazz, Blues, Volkslieder) ist in der Vergangenheit gering gewesen. In letzter
Zeit ist es jedoch etwas gewachsen. Das Desinteresse hat meine Arbeit
erschwert. Das einzige Werk über die Geschichte der Populärmusik entdeckte
ich beim Stöbern in Norwegen. Selbst im Stammland dieser Musik, in England,
konnte ich keines auftreiben. In ihrem Vorwort schreiben die Autoren Yngve
Blokhus und Audun Molde: “Es gab kein Buch mit einer ganzheitlichen
Darstellung von der Geschichte der Populärmusik. Diese erstaunliche
Tatsache gab uns die Inspiration, mit der Arbeit an diesem Buch zu starten“
(BLOKHUS und MOLDE 1996:5).
Im ersten Kapitel liefern sie mögliche Gründe dieses Desinteresses. Die
Gelehrten unterschieden schon lange zwischen Volksmusik und Kunstmusik.
Volksmusik hören die meisten Leute, Kunstmusik die kulturelle Elite.
Kunstmusik wurde ökonomisch vom Adel, der Oberklasse oder der Kirche
unterstützt, heute tut dies die öffentliche Hand – ökonomisch und ideologisch.
Kunstmusik hat den Status bekommen, etwas Hochwertiges zu sein. Etwas,
das den Geist und Intellekt anspricht und das mit Respekt und in Andacht
angehört werden soll. Kunstmusik ist zeitlos. Volksmusik dagegen ist nur zur
Unterhaltung und zum Zeitvertreib da. Damit sie jeder versteht, ist sie einfach
und oberflächlich. Sie hat keinen Anspruch auf Zeitlosigkeit, denn sie wechselt
mit Moden und Trends.
In der westlichen Welt, schreiben sie, seien zudem
Werte wie Unterhaltung, Gemeinschaft, kreative Lebenslust und Relaxen
traditionell als weniger hochwertig angesehen worden wie geistige oder
intellektuelle Beschäftigungen. Populärmusik wurde von der Gesellschafts-
und Kulturelite deshalb häufig als platt, unmoralisch und gefährlich dargestellt
(BLOKHUS und MOLDE 1996:19-20).
Hip-Hop ist da keine Ausnahme. In den Medien ist Hip-Hop oft mit Gewalt in
Verbindung gebracht worden, mit jungen randalierenden Ausländern, die ihren
Frust abreagieren wollen mit dem Vorbild der Bronx in New York. In der
wissenschaftlichen Literatur werden diese Klischees teilweise wiederholt.
Viele Studien gibt es nicht, die meisten sind in den vergangenen fünf Jahren
herausbekommen. “Eine wissenschaftliche Debatte über Hip-Hop existiert
nicht“, schreibt Dietmar Hüser, Historiker an der Uni Saarbrücken in einem
Aufsatz über Rap in Frankreich (Link zum Artikel).
Interessanterweise ist das Thema bei amerikanischen Studenten arg im
Kommen. Im Internet habe ich unzählige Anfragen von Studenten an
Schwarzen Blättern entdeckt im Stil von “Ich schreibe gerade eine Arbeit über
Hip-Hop. Wer weiss etwas über die Geschichte des Hip-Hop?“ Dort sind auch
schon einige Dissertationen darüber geschrieben worden (für eine gute
Bibliografie siehe die Seiten des Simmons College).
Tricia Rose gibt in “Black Noise: Rap Music and Black Culture in
Contemporary America“ (1994) einen guten Überblick über die Entwicklung
des Hip-Hop und stellt es in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang
(Rassismus in den USA, Stadtplanung zu Lasten der Armen). Sie diskutiert die
Gegensätzlichkeiten (z.B. Gangster- visa Bildungs-Rap), die Rolle der
Medien, die Kommerzialisierung genauso wie Sexismus und Macho-Tum. Ein
Kapitel hat sie allein Rap-Texten gewidmet. Basiswissen, vor allem über
Rap-Musiker, vermittelt David Toop (1984 und 1994).
Das meiner Meinung
nach schönste Buch hat US-Rapper KRS-ONE (1996) geschrieben. “The
Science of Rap“ heisst es und ist eine Art Einführungsbuch für junge
Rapperinnen und Rapper. Filosofische Betrachtungen darüber, was es heisst,
ein guter Rapper zu sein, wechseln sich ab mit konkreten Tips und Einblicken
in die Hip-Hop-Geschichte.
Die Seiten und Adressen können schnell
ändern, am besten testet man Suchmaschinen wie Google, Yahoo, Web.de oder Search.ch mit den
Begriffen “Hip-Hop“, “Graffiti“ und so weiter aus. Mit ihnen bekommt man
auch Adressen von Hip-Hop-Diskussionsgruppen. Mehr als genug Material
für künftige Forschungen!
In Basel sind drei Arbeiten über Hip-Hop in Basel geschrieben worden – alle
als Diplomarbeiten an der höheren Fachhochschule für Sozialarbeit.
Michael
Fischli (1994) führte Interviews zum Thema: Ist Hip-Hop ein Ersatz für
fehlende Geborgenheit im Elternhaus? Michael Frings (1997) Arbeit ist
allgemeiner und offener, soll einen Überblick verschaffen. Die
Interviewpartner in beiden Arbeiten stammen jedoch aus Jugendheimen und
Arbeit-Erziehungsanstalten, in denen die Studenten ein Praktikum abgeleistet
hatten – sind also wenig repräsentativ. Jacquelin Graf (1997) liefert eine
historische Analyse. Sie betrachtet Hip-Hop als “Bewältigungsstrategie“, die
es ermöglicht, mit schwierigen Lebensumständen zurecht zu kommen.
Die unsichtbare Jugend
Dass Hip-Hop noch kein Thema ist in der Ethnologie, verwundert mich nicht,
sind junge Leute sowieso in den meisten Studien unsichtbar. Wenn sie
vorkommen, dann meist als Menschen im Übergang vom Kind- zum
Erwachsenensein (“auf der Suche nach seiner/ihrer Identität“) und nicht als
Individuen, die ihr eigenes Ding machen.
Das hängt von der ethnologischen
Wahrnehmung von Jugend zusammen. Jugendlichkeit wird meist negativ
definiert: als vorübergehender Zustand, als “Suchen nach einer Identität“. Ziel
der Entwicklung ist das Erwachsenensein, “der Krönung der Schöpfung“. Die
Folge: Jugendliche werden nicht ernst genommen.
Ein Problem, besonders der
älteren Ethnologie, ist Kulturfixiertheit. Das Interesse war auf Kultur einer
Gruppe (“die Sioux-Indianer“) fixiert, und unter Kultur verstand man in erster
Linie Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Und
alle Mitglieder einer Gesellschaft “hätten“ dieselbe Kultur. In dieser
Sichtweise sind junge Leute lediglich dazu da, das Erbe ihrer Grossväter
weiterzuführen. Ältere Ethnologen wandten sich in ihrer Suche nach Daten
hauptsächlich an alte Männer.
Im Vorwort zum Reader “Youth Cultures. A cross-cultural perspective“
kritisiert Helena Wulff die passive Rolle der Ethnologie in der
Jugendforschung. Seit dem Beginn von Jugendkultur-Forschung in den
1950er-Jahren stammten die meisten Forschungen von Soziologen. Das sei
immer noch der Fall. Sie kritisiert die Voreingenommenheit der Forschenden:
Sie betrachteten jugendliche Aktivitäten stets als Protest gegenüber der
Erwachsenwelt. Sie behandeln Jugendliche von vornherein als Abweichler, als
Delinquenten.
Viele Studien, so Wulff weiter, seien zudem gemacht worden, um
“Jugendprobleme“ aus der Sicht von Erwachsenen zu lösen. Ein Problem vieler
Studien sei der Abstand zwischen Forschenden und den Jugendlichen - nicht
nur den Lebensstil betreffend, sondern auch vom Alter her (WULFF 1995:2-8).
“Bis heute bilden die Erwachsenen die Perspektive, unter denen andere
Kulturen untersucht werden“, stellen auch Marie-José van de Loo und
Margarete Reinhart in ihre Einleitung zum Reader über Kinder in der
Ethnologie fest.
Was sie über Kinder schreiben, lässt sich meiner Meinung nach gut auf
Jugendliche in der Ethnologie übertragen: Sie “werden behandelt, sie handeln
nicht selbst, sie werden nur beobachtet und selten befragt, es wird über sie
geredet, sie reden nicht selbst, und man bemüht sich nicht, die ihnen eigenen
Ausdrucksformen zu verstehen“ (van de LOO und REINHART 1993:7-8).
Erwachsenenzentriertheit
Diese Erwachsenenzentrierheit ist in vielen Artikeln im “Kursbuch
Jugendkultur“ (1997) spürbar, besonders bei deutschsprachigen Autoren.
Dabei wollten die Herausgeber vom SpoKK (Arbeitsgruppe für symbolische
Politik, Kultur und Kommunikation) gerade dem entgegenwirken. Weit mehr
als 30 Autoren schreiben über Skinheads, Punks, Hip-Hopper, über
Jugendkultur und Weiblichkeit, Hooligans, Boygroups und ihre Fans oder die
erste Cybergeneration.
Das Buch ist nützlich für ältere Erwachsene, um einen
Überblick zu bekommen (“Na, womit beschäftigt sich denn unsere Jugend von
heute so?“), den Alltag von Jugendlichen bringt es einem kaum näher. Nur
selten kommen junge Leute selber zu Wort und nur selten setzt sich ein
Forscher dem jugendlichen Leben so aus wie Andre Lützen, der zwei
Graffiti-Künstler begleitete, während sie beim Fahren einen Zug besprühten
oder Monja Messner, die Mädchen mit in Boygroup-Konzerten hinein
begleitete.
Viele dieser Texte, merkte ich schnell, richten sich ausschliesslich an ein
spezialisiertes Publikum in der Wissenschaft. Ihre Informationen bezogen sie
zum grossen Teil aus zweiter Hand, hauptsächlich von anderen Autoren. Oft
sind ihre Schlüsse nicht nachvollziehbar, da sie ihren Forschungs- und
Denkprozess nicht offenlegen. Gelegentlich musste ich laut auflachen, so
ungewollt komisch waren manche Formulierungen, die die Gelehrten, in ihrem
Lehnstuhl sitzend (so wirkte es jedenfalls auf mich), über die Jugend von sich
gaben. Ein Beispiel: Ralf Vollbrecht zitiert den Soziologen Hitzler zum Thema
Schaffung von Lebensstilen. Es gilt,
“dass der je zuhandene Lebensstil (temporär) vom Akteur aus einem
pluralen Angebot vorhandener (lebens-)sinnstiftender
Selbst-Stilisierungs-Alternativen (mehr oder minder) frei selegiert ist,
und dass er erst als selegierter wiederum zur (teilzeitlich wirksamen)
Selektionsinstanz für die Filterung sozialer Sinnangebote (...) werden
kann und in der Regel auch wird“ (Hitzler in VOLLBRECHT 1997:24,
Auslassung(!) von Vollbrecht).
Oft werden Phänomene der Jugendkultur anhand von Theorien erklärt. Wie
einseitig und voraussehbar die Ergebnisse so werden, wird immer wieder im
Kursbuch deutlich. Anne Krogstad (1986) heimste diese Herangehensweise bei
den Punks in Oslo, die sie für ihre Lizenziatsarbeit in Ethnologie untersucht
hatte, viel Kritik bei den Punks ein. Sie benutzte eine sogenannte
Symboltheorie. Die Punks fanden die Theorie ungeeignet, sie habe der
Forscherin den Blick auf wichtigere Dinge verstellt. “Spannend aussehende
Menschen sind immer medien- und symboltheoriefreundlich. Das ist
Exotisierung pur“ (LILLEVOLDEN 1988).
Es geht auch anders
In dem englischen Reader zeigt Helena Wulff, wie spannend Jugendforschung
sein kann. Da gibt es Forschungsberichte über Themen wie multikulturelle
Freundschaften, über Rai-Musik und Jugend in Algerien und über junge
Männer aus Surinam in Amsterdam. All diesen Studien ist gemein, dass sie
junge Leute als selbständig handelnde Menschen ansehen. Sie nehmen sie
ernst. (Eigene) Empirie steht mindestens gleichberechtigt neben (fremder)
Theorie, kein Artikel kommt ohne Zitate von jungen Leuten aus.
Anregend fand ich ferner die Lektüre von Arild Hovlands (1996) Forschung
unter jungen Samen in Nordnorwegen, die auf 15-monatiger Feldforschung
baut. Er nahm regelmässig an Sitzungen eines neuen samischen Jugendvereins
teil, an Konferenzen, besuchte den Freizeitklub, las Schulaufsätze und
Leserbriefe. Das Buch statte er reich mit Zitaten aus. Er präsentierte eine
Lebenswelt, die in anderen Büchern über Samen oft vernachlässigt wurde.
Ein aussergewöhnliches Buch über eine türkische Jugendbande in Frankfurt
am Main hat Herman Tertilt (1996) geschrieben. Über zwei Jahre lang
begleitete er die Jugendlichen in ihrem Alltag. Nach der Kontaktaufnahme in
einem Jugendhaus verbrachte er fast jeden Nachmittag und Abend mit den
“Turkish Power Boys“ und besuchte sie sogar während ihres Urlaubs in der
Türkei. Es gelang ihm, eine Vertrauensbasis aufzubauen, seine extra dafür
erworbenen Türkisch-Kenntnisse waren von Vorteil. Er wurde zum Freund,
dem die Jugendlichen auch um Rat und Hilfe bitten konnten. Grossen Raum
räumt er den Portraits dreier Bandenmitglieder ein.
Diese Forscher benutzten die ethnologische Forschungsmethode der
teilnehmenden Beobachtung. Diese werde ich im nächsten Kapitel erklären.