Gespräch mit Tarek im Mai 1999

Welcher Sprüher träumt nicht davon, sein eigenes Atelier zu haben? Und Writing als Teil des Studiums? Dafür sogar ein Stipendium zu bekommen? Tarek, 27 Jahre alt, lebendes Kalligrafie-Lexikon, Rapper und Wortakrobat, lebt seinen Traum. Ich besuche ihn in seinem Atelier in der Basler Kunstgewerbeschule. Als ich eintrat, stand er mit Bleistift und Papier in der Hand mitten im Raum - mit verklärtem Blick. "Gerade ist mir ein guter Reim eingefallen", erklärt er, " - über meine Königin... Wie findest Du den Reim?"

Tarek - Ich weiss gar nicht wie ich mich bezeichnen soll. Als Typograf? Schriftenmaler? Writer? Wahrscheinlich etwas zwischen Writer und Kalligraf.


In seinem Atelier hängen Bilder dicht an dicht. Nicht alle sind gesprüht. Er experimentiert auch mit Stoff-Buchstaben. Ein noch nicht fertiges Bild besteht aus mehreren gelben Buchstaben. An der Anordnung der Buchstaben grübelt er noch. Mit arabischer Schrift spielt er besonders gern. Das zeigt er mir an Bildern, die im Gang der Schule hängen. Eines ist ganz in Rot gemalt. Je nach Lichteinfall sieht man etwas anderes.

- Schau, wie das Licht mit der Schrift spielt. Arabische Schrift ist perfekt. Sie kann man nicht mehr verändern. Die Bewegung ist schon drin. Wie findest Du das?

Man denkt beim ersten Blick eher an moderne Kunst als an Graffiti.

- Also, die Basis ist Graffiti. Mein Thema ist Buchstaben und ihre Anwendung. Lettering. Dazu zähle ich auch Noten. Sie sind die Buchstaben der Musik. Auch wenn es so aussieht, von den Sprayern habe ich mich nicht distanziert, auch wenn ich neue Ausdrucksformen suche. Das Sprayen habe ich lange gemacht. Es gibt so viele Sachen, die ich noch nicht gemacht habe, die mich reizen. Lettering tun viele ab - als etwas Pubertäres. Lehrer in der Schule sagten, diese Buchstaben führen zu nichts. Mein Vater sagte auch: Mal lieber Natur und Landschaft. Wäre ich nicht so stur, hätte ich das alles nicht zustande gebracht.

Tarek holt ein paar Bücher aus dem Regal und zeigt sie mir.

- Ich bin Max-Ernst- und Escher-Freak. Sie zeigen, dass man die Welt auch ganz anders sehen kann.

Mir fällt beim Durchblättern auf, dass einige Bilder Graffitis ähneln.
Was machst Du alles?
- Musik, Theater, Malerei. Ich schreibe gerne über Politik, Gesellschaft, Liebe. Von morgens bis abends mache nur das. Ich bin als Araber aufgewachsen. Ich habe Bilder in mir. Bei deutschen Texten, gerade über Liebe, denke ich manchmal - Wieder so ein Schmalztext. Im Arabischen ist das ganz anders. Da gibt es nicht solch eine Unterscheidung. Ich überlege oft, wieso das so ist. Das ist das Spannende mit Sprachen: neues Erfinden, Kreieren, neue Bilder schaffen. MCs haben einen enormen Wortschatz!

Ich habe vor, ein Buch über die Ästhetik von Buchstaben zu schreiben und die Styles. Ich habe erst angefangen, es ist so schwierig, dass es mich erschrickt.

(Kunstpause)

"Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann" (Spruch unbekannter Herkunft). "Buchstaben sind Fleischerhaken, an denen wir unsere Gedanken festhalten" (mein Spruch).

Beim Freestyle-Rappen sehe ich Buchstaben im Kopf. Ohne Buchstaben gibt es keine Gedanken.


Es folgt eine Diskussion, was zuerst da ist: Buchstaben oder Gedanken. Wir sind unterschiedlicher Meinung.

Aus dem Jahr 2000 von der EP "Bittersüess"
Bei GleisX hast Du ja auch mitgemacht.
- Ja, bei Vinny auch. Ich habe ein Bühnenbild eines Maxim-Gorki-Stückes im Theater Basel gemalt, ich gebe Workshops wie eben im Sommercasino "Graffiti - mehr als eine Sprühkunst". Ich plane eine Ausstellung, ich hoffe, ich kriege den Raum, den ich im Kopf hab.
Wie finanzierst Du das alles?
- Durch den Verkauf von Bilden und durch Aufträge. Ausserdem bekomme ich ein Stipendium, so dass ich mich nicht ums Geldverdienen kümmern muss. Die Arbeit hier im Atelier ist anstrengend. Nicht in den Armen, sondern im Kopf. Wenn ich heimgehe, bin ich so ausgelaugt, wie wenn ich eine Stunde lang 50-Kilo-Säcke geschleppt hätte.

Das ist auch das Schöne daran. Ich habe mir das früher gewünscht. Ich lebe meinen Bubentraum. Ich wollte schon vor dem Hip-Hop Maler werden. Jetzt habe ich die Möglichkeit dazu. Ich habe Glück. Dafür bin ich so dankbar.
Wie hast Du das geschafft? Was ist Dein Rezept?
- Finger aus dem Arsch! Wille, Überzeugung! Ich ging zur Kunstgewerbeschule in den Vorkurs und wusste, ich komme rein. Zwei Monate vor dem Ende des Vorkurses habe ich mit der Mappe für die Malklasse angefangen. Ich wusste, ich schaffe es und habe die Zeit über nichts anderes gemacht.

Na, früher hätte ich nie gedacht, dass ich jetzt (Stoff-) Buchstaben glätte. Hätte mir das früher einer gesagt, hätte ich gesagt, du spinnst!

Nach der Schule möchte ich für ein halbes Jahr nach Ägypten gehen, meine Wurzeln suchen - auch da am Gazastreifen. Mein Vater kommt daher. Meine Mutter kommt aus Schwäbisch-Gmünd (Deutschland). Viele im Hip-Hop-Milieu sind zweite Generation Ausländer. Ich habe die Zerrissenheit in mir. Mein Vater gehört dem Islam an, meine Mutter gehörte dem Christentum an und ist zum Islam übergetreten. Zerissenheit ist das tägliche Brot. Das gibt natürlich auch Auftrieb, es zu verarbeiten.

Hip-Hop ist ein ideales Medium, Aggressionen und Unverständnis freien Lauf zu lassen in einer kreativen Form - dass heisst um Neid und Hass positiv zu nutzen. Ich nehm Deinen Hass und lass ihn zu Liebe werden. Wie im Tai Chi, Wintschung oder Kung Fu.
Aber muss denn Zerrissenheit überhaupt ein Problem sein? Muss man nicht beides verbinden? Ich kann das Gerede um das Zerrissensein zwischen zwei Kulturen nicht mehr hören. Ich weiss wovon Du redest. Ich habe auch eine deutsche Mutter und einen arabischen (jordanischen) Vater.
- Wie alt bist Du?
29.
- Und ich bin 27. Jetzt weiss ich das, was Du sagst, früher nicht. Früher sah ich es als Problem, zwei Kulturen in mir zu haben, jetzt finde ich es gut und nutze es.
Ja, okay, da ging es mir früher ähnlich. Ich wollte nicht als Ausländer gelten…
- …und hast Dich geärgert über Deine Locken, die braunen Augen, das Aussehen, wolltest gerne alles abstreifen?
Ja (kurze Pause). Stimmt!
- Ich habe einen sehr persönlichen Text geschrieben - über die Mühe, in welcher Gruppe ich mich daheim fühle.
Du entblösst Dich im Text.
- Ich sage es nicht so direkt. Ich will Bilder schaffen, so dass man überlegt: Wieso das? Man erreicht nichts, wenn man direkt ist. Wie in der Malerei. Warum einen Baum nicht mit violettem Stamm und gelben Blättern mit blauen Punkten malen? Ich möchte den Gedankenrahmen sprengen und damit auch alle Dogmen.
Wenn ich Deine Bilder anschaue - warum steht auf ihnen allen nur Tarek?
- Fame! Ich gebs ja zu, ich bin fame-geil. Ich will überall meinen Namen stehen sehen.
Wieso fame? Wieso ist das so wichtig? Was ist das überhaupt?
- Bekanntheitsgrad, einen Namen haben, ein Produkt, etwas, das mir finanzielle Unterstützung gewährt. Und das bedeutet Freiraum, Zeit, wo man sich verwirklichen kann, Texte schreiben, sich selber leben.

Malerei ist auch Mittel zum Zweck. Ich will soviel Kohle scheffeln, damit ich die Möglichkeit habe, anderen Leuten, die es brauchen, zu helfen. Und zwar auf kreative Art. Kreativität lässt Hass und Liebe verschmelzen. Ich würde gerne viel Geld scheffeln und damit alle Waffen aufkaufen, Panzer einschmelzen und daraus dann eine Riesen-Skulptur machen, einen Riesen-Tarek.


Ich schau ihn skeptisch-verwundert an.

- Ja, ich weiss, ich bin ein Traumtänzer. Aber ich tanze gerne in meinen Träumen.
Verkaufst du da auch Bilder? Ist wohl schwierig, Bilder wegzugeben?
- Nein, das ist kein Problem mehr. Vergänglichkeit, das ist etwas das Writer sehr beschäftigt. Auch filosofisch ist es ein Thema. - Sprayer sind keine besseren Menschen. Manche meinen, ich würde mich selbst verkaufen (Sell-Out). 12 Jahre male ich schon, mit Tags fing es an, ich habe alles mögliche gemacht, Unvernünftiges, grobe Bubenstreiche. Aber ich wusste, wann der Punkt war, damit auf zu hören. Ich kann das ganze Leben nicht "verflashen". Es war aber eine wichtige Periode, das Suchen.
Was meinst du mit flashen?
- Zugedröhnt sein, weisst du.
Was hast Du nach der Schule vor?
- Vielleicht nach Ägypten oder Australien? Ich weiss nicht. Oder nach Berlin? Wichtig ist, dass ich mich davon ernähren kann, was ich mache. Ein Traum wäre schon, ein Atelier in Kairo zu haben. Ich würde gerne mehr mit arabischer Schrift arbeiten und mit arabischen Musikern - nicht nur rappen, ich würde auch gerne probieren zu singen.
Sag mal, wie bist Du eigentlich zum Hip-Hop gekommen?
- 1987, ich bin mit dem Velo der Birs entlang gefahren. Da habe ich zum ersten Mal bunte Buchstaben an einer Mauer gesehen - riesengross, so ein Meter hoch und 6 Meter lang. Da hat es vor Farbe so geflasht. Grün, rot, orange, babyblau, gelb. An Gleisen hab ich noch andere Bilder gesehen. Ich wusste, das kann ich auch. Ich habe auch den Style Wars-Film gesehen. Mit Puccio (Kalmoo) habe ich Hip-Hop entdeckt. Das DJ-ing hab ich auch entdeckt. Malen war schon immer für mich massgebend gewesen. Ab und zu tanzte ich auch, sah zwar manchmal lächerlich aus, ist mir aber egal.

Vor vier Jahren habe ich mit dem Rappen angefangen und kann es jetzt sicher besser als am Anfang. Ich versuche im Rap wie in der Malerei, eigenständig zu sein Daran muss ich noch arbeiten.
Was hältst Du von Basel? Ist das eine Stadt, in der man sich verwirklichen kann?
- Basel ist ein Paradies für mich. Noch nie habe ich mich so gut gefühlt wie jetzt. Ich habe alles. Mir fehlt nichts. Ich bin der zweitglücklichste Mensch der Welt.
Auch wegen Deiner Königin?
- Ja! (lacht).

Es ist schwierig ohne Vitamin B etwas zu erreichen. Es gibt auch jemanden, der mich und meine Entwicklung verfolgt.
Wer ist das?
- Jakob Tschopp, er ist wie ein Schutzengel. Er berät mich, sponsert Dosen für Workshops und so. Es ist so: Was Du gibst, kriegst Du. Es ergibt sich dann vieles.

Die schlimmste Zeit war das halbe Jahr, wo ich geschafft hab, um den Vorkurs zu finanzieren. Ich habe sonst nichts anderes machen können, nur TV geschaut, getrunken. Jetzt habe ich viele Leute kennengelernt, die Interesse an meiner Arbeit haben, das ist was!

In der Kunst kommt das Zwischenmenschliche zu kurz. Gleis X hat mich besonders aufgepusht. Da habe ich gemerkt, die Leute mögen Dich. Das ist ein Grund, noch früher aufzustehen.

PS: Gegenwärtig arbeitet Tarek mit Leuten vom GleisX an einem neuen Theaterstück. Im Februar 2000 wird er eine Maxi heraus bringen.


UPDATES

Tarek war seit dem Interview extrem aktiv, man sieht viele seiner Werke auf seiner sehr schönen neuen Webseite mit Shop. Es gibt viele News, hier nur eine kleine Auswahl:

""Streetart auf der Schwarzwaldbrücke: Tarek Abu Hageb über sein provokatives Kunstwerk: «Aylan schwebt jetzt über dem Wasser» (BZ Basel 23.9.2020)

Kunst im Knast – Tarek Abu Hageb hat eine Wand im Spazierhof gestaltet (BZ Basel 9.1.2020)

Fasnacht meets Hip-Hop: Graffiti statt Tradition (Die Olympia-Clique liess ihre Laterne vom Basler Graffiti-Künstler Tarek Abu Hageb gestalten, 20min.ch 10.3.2014)

Tarek Abu Hagebs «Bunterführung» (Der Basler Künstler Tarek Abu Hageb hat mit der Stadt im Rücken und der Spraydose in der Hand der tristen Heuwaage-Unterführung ein neues Gesicht beschert, Tageswoche 2.7.2013)