Welcher Sprüher träumt nicht davon, sein eigenes Atelier zu haben? Und
Writing als Teil des Studiums? Dafür sogar ein Stipendium zu bekommen?
Tarek, 27 Jahre alt, lebendes Kalligrafie-Lexikon, Rapper und Wortakrobat,
lebt seinen Traum. Ich besuche ihn in seinem Atelier in der Basler
Kunstgewerbeschule. Als ich eintrat, stand er mit Bleistift und Papier in der
Hand mitten im Raum - mit verklärtem Blick. "Gerade ist mir ein guter Reim
eingefallen", erklärt er, " - über meine Königin... Wie findest Du den Reim?"
- Ich weiss gar nicht wie ich mich bezeichnen soll. Als
Typograf? Schriftenmaler? Writer? Wahrscheinlich
etwas zwischen Writer und Kalligraf.
In seinem Atelier hängen Bilder dicht an dicht. Nicht
alle sind gesprüht. Er experimentiert auch mit
Stoff-Buchstaben. Ein noch nicht fertiges Bild besteht
aus mehreren gelben Buchstaben. An der Anordnung
der Buchstaben grübelt er noch. Mit arabischer Schrift
spielt er besonders gern. Das zeigt er mir an Bildern,
die im Gang der Schule hängen. Eines ist ganz in Rot
gemalt. Je nach Lichteinfall sieht man etwas anderes.
- Schau, wie das Licht mit der Schrift spielt. Arabische
Schrift ist perfekt. Sie kann man nicht mehr verändern. Die Bewegung ist
schon drin. Wie findest Du das?
Man denkt beim ersten Blick eher an moderne Kunst als an Graffiti.
- Also, die Basis ist Graffiti. Mein Thema ist Buchstaben und ihre Anwendung.
Lettering. Dazu zähle ich auch Noten. Sie sind die Buchstaben der Musik.
Auch wenn es so aussieht, von den Sprayern habe ich mich nicht distanziert,
auch wenn ich neue Ausdrucksformen suche. Das Sprayen habe ich lange
gemacht. Es gibt so viele Sachen, die ich noch nicht gemacht habe, die mich
reizen. Lettering tun viele ab - als etwas Pubertäres. Lehrer in der Schule
sagten, diese Buchstaben führen zu nichts. Mein Vater sagte auch: Mal lieber
Natur und Landschaft. Wäre ich nicht so stur, hätte ich das alles nicht zustande
gebracht.
Tarek holt ein paar Bücher aus dem Regal und zeigt sie mir.
- Ich bin Max-Ernst- und Escher-Freak. Sie zeigen, dass man die Welt auch
ganz anders sehen kann.
Mir fällt beim Durchblättern auf, dass einige Bilder Graffitis ähneln.
Was machst Du alles?
- Musik, Theater, Malerei. Ich schreibe gerne über Politik, Gesellschaft,
Liebe. Von morgens bis abends mache nur das. Ich bin als Araber
aufgewachsen. Ich habe Bilder in mir. Bei deutschen Texten, gerade über
Liebe, denke ich manchmal - Wieder so ein Schmalztext. Im Arabischen ist das
ganz anders. Da gibt es nicht solch eine Unterscheidung. Ich überlege oft,
wieso das so ist. Das ist das Spannende mit Sprachen: neues Erfinden,
Kreieren, neue Bilder schaffen. MCs haben einen enormen Wortschatz!
Ich
habe vor, ein Buch über die Ästhetik von Buchstaben zu schreiben und die
Styles. Ich habe erst angefangen, es ist so schwierig, dass es mich erschrickt.
(Kunstpause)
"Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern
kann" (Spruch unbekannter Herkunft). "Buchstaben sind Fleischerhaken, an
denen wir unsere Gedanken festhalten" (mein Spruch).
Beim
Freestyle-Rappen sehe ich Buchstaben im Kopf. Ohne Buchstaben gibt es
keine Gedanken.
Es folgt eine Diskussion, was zuerst da ist: Buchstaben oder Gedanken. Wir
sind unterschiedlicher Meinung.
Aus dem Jahr 2000 von der EP "Bittersüess"
Bei GleisX hast Du ja auch mitgemacht.
- Ja, bei Vinny auch. Ich habe ein Bühnenbild eines Maxim-Gorki-Stückes im
Theater Basel gemalt, ich gebe Workshops wie eben im Sommercasino
"Graffiti - mehr als eine Sprühkunst". Ich plane eine Ausstellung, ich hoffe, ich
kriege den Raum, den ich im Kopf hab.
Wie finanzierst Du das alles?
- Durch den Verkauf von Bilden und durch Aufträge. Ausserdem bekomme ich ein
Stipendium, so dass ich mich nicht ums Geldverdienen kümmern muss. Die
Arbeit hier im Atelier ist anstrengend. Nicht in den Armen, sondern im Kopf.
Wenn ich heimgehe, bin ich so ausgelaugt, wie wenn ich eine Stunde lang
50-Kilo-Säcke geschleppt hätte.
Das ist auch das Schöne daran. Ich habe mir
das früher gewünscht. Ich lebe meinen Bubentraum. Ich wollte schon vor dem
Hip-Hop Maler werden. Jetzt habe ich die Möglichkeit dazu. Ich habe Glück.
Dafür bin ich so dankbar.
Wie hast Du das geschafft? Was ist Dein Rezept?
- Finger aus dem Arsch! Wille, Überzeugung! Ich ging zur Kunstgewerbeschule
in den Vorkurs und wusste, ich komme rein. Zwei Monate vor dem Ende des
Vorkurses habe ich mit der Mappe für die Malklasse angefangen. Ich wusste,
ich schaffe es und habe die Zeit über nichts anderes gemacht.
Na, früher hätte
ich nie gedacht, dass ich jetzt (Stoff-) Buchstaben glätte. Hätte mir das früher
einer gesagt, hätte ich gesagt, du spinnst!
Nach der Schule möchte ich für ein
halbes Jahr nach Ägypten gehen, meine Wurzeln suchen - auch da am
Gazastreifen. Mein Vater kommt daher. Meine Mutter kommt aus
Schwäbisch-Gmünd (Deutschland). Viele im Hip-Hop-Milieu sind zweite
Generation Ausländer. Ich habe die Zerrissenheit in mir. Mein Vater gehört
dem Islam an, meine Mutter gehörte dem Christentum an und ist zum Islam
übergetreten. Zerissenheit ist das tägliche Brot. Das gibt natürlich auch
Auftrieb, es zu verarbeiten.
Hip-Hop ist ein ideales Medium, Aggressionen und
Unverständnis freien Lauf zu lassen in einer kreativen Form - dass heisst um
Neid und Hass positiv zu nutzen. Ich nehm Deinen Hass und lass ihn zu Liebe
werden. Wie im Tai Chi, Wintschung oder Kung Fu.
Aber muss denn Zerrissenheit überhaupt ein Problem sein? Muss man nicht
beides verbinden? Ich kann das Gerede um das Zerrissensein zwischen zwei
Kulturen nicht mehr hören. Ich weiss wovon Du redest. Ich habe auch eine
deutsche Mutter und einen arabischen (jordanischen) Vater.
- Wie alt bist Du?
29.
- Und ich bin 27. Jetzt weiss ich das, was Du sagst, früher nicht. Früher sah ich
es als Problem, zwei Kulturen in mir zu haben, jetzt finde ich es gut und nutze
es.
Ja, okay, da ging es mir früher ähnlich. Ich wollte nicht als Ausländer
gelten…
- …und hast Dich geärgert über Deine Locken, die braunen Augen, das
Aussehen, wolltest gerne alles abstreifen?
Ja (kurze Pause). Stimmt!
- Ich habe einen sehr persönlichen Text geschrieben - über die Mühe, in
welcher Gruppe ich mich daheim fühle.
Du entblösst Dich im Text.
- Ich sage es nicht so direkt. Ich will Bilder schaffen, so dass man überlegt:
Wieso das? Man erreicht nichts, wenn man direkt ist. Wie in der Malerei.
Warum einen Baum nicht mit violettem Stamm und gelben Blättern mit blauen
Punkten malen? Ich möchte den Gedankenrahmen sprengen und damit auch
alle Dogmen.
Wenn ich Deine Bilder anschaue - warum steht auf ihnen allen nur Tarek?
- Fame! Ich gebs ja zu, ich bin fame-geil. Ich will überall meinen Namen stehen
sehen.
Wieso fame? Wieso ist das so wichtig? Was ist das überhaupt?
- Bekanntheitsgrad, einen Namen haben, ein Produkt, etwas, das mir
finanzielle Unterstützung gewährt. Und das bedeutet Freiraum, Zeit, wo man
sich verwirklichen kann, Texte schreiben, sich selber leben.
Malerei ist auch
Mittel zum Zweck. Ich will soviel Kohle scheffeln, damit ich die Möglichkeit
habe, anderen Leuten, die es brauchen, zu helfen. Und zwar auf kreative Art.
Kreativität lässt Hass und Liebe verschmelzen. Ich würde gerne viel Geld
scheffeln und damit alle Waffen aufkaufen, Panzer einschmelzen und daraus
dann eine Riesen-Skulptur machen, einen Riesen-Tarek.
Ich schau ihn skeptisch-verwundert an.
- Ja, ich weiss, ich bin ein Traumtänzer. Aber ich tanze gerne in meinen
Träumen.
Verkaufst du da auch Bilder? Ist wohl schwierig, Bilder wegzugeben?
- Nein, das ist kein Problem mehr. Vergänglichkeit, das ist etwas das Writer
sehr beschäftigt. Auch filosofisch ist es ein Thema. - Sprayer sind keine
besseren Menschen. Manche meinen, ich würde mich selbst verkaufen
(Sell-Out). 12 Jahre male ich schon, mit Tags fing es an, ich habe alles
mögliche gemacht, Unvernünftiges, grobe Bubenstreiche. Aber ich wusste,
wann der Punkt war, damit auf zu hören. Ich kann das ganze Leben nicht
"verflashen". Es war aber eine wichtige Periode, das Suchen.
Was meinst du mit flashen?
- Zugedröhnt sein, weisst du.
Was hast Du nach der Schule vor?
- Vielleicht nach Ägypten oder Australien? Ich weiss nicht. Oder nach Berlin?
Wichtig ist, dass ich mich davon ernähren kann, was ich mache. Ein Traum
wäre schon, ein Atelier in Kairo zu haben. Ich würde gerne mehr mit arabischer
Schrift arbeiten und mit arabischen Musikern - nicht nur rappen, ich würde
auch gerne probieren zu singen.
Sag mal, wie bist Du eigentlich zum Hip-Hop gekommen?
- 1987, ich bin mit dem Velo der Birs entlang gefahren. Da habe ich zum ersten
Mal bunte Buchstaben an einer Mauer gesehen - riesengross, so ein Meter
hoch und 6 Meter lang. Da hat es vor Farbe so geflasht. Grün, rot, orange,
babyblau, gelb. An Gleisen hab ich noch andere Bilder gesehen. Ich wusste,
das kann ich auch. Ich habe auch den Style Wars-Film gesehen. Mit Puccio (Kalmoo)
habe ich Hip-Hop entdeckt. Das DJ-ing hab ich auch entdeckt. Malen war
schon immer für mich massgebend gewesen. Ab und zu tanzte ich auch, sah
zwar manchmal lächerlich aus, ist mir aber egal.
Vor vier Jahren habe ich mit
dem Rappen angefangen und kann es jetzt sicher besser als am Anfang. Ich
versuche im Rap wie in der Malerei, eigenständig zu sein Daran muss ich noch
arbeiten.
Was hältst Du von Basel? Ist das eine Stadt, in der man sich verwirklichen
kann?
- Basel ist ein Paradies für mich. Noch nie habe ich mich so gut gefühlt wie
jetzt. Ich habe alles. Mir fehlt nichts. Ich bin der zweitglücklichste Mensch der
Welt.
Auch wegen Deiner Königin?
- Ja! (lacht).
Es ist schwierig ohne Vitamin B etwas zu erreichen. Es gibt auch
jemanden, der mich und meine Entwicklung verfolgt.
Wer ist das?
- Jakob Tschopp, er ist wie ein Schutzengel. Er berät mich, sponsert Dosen für
Workshops und so. Es ist so: Was Du gibst, kriegst Du. Es ergibt sich dann
vieles.
Die schlimmste Zeit war das halbe Jahr, wo ich geschafft hab, um den
Vorkurs zu finanzieren. Ich habe sonst nichts anderes machen können, nur TV
geschaut, getrunken. Jetzt habe ich viele Leute kennengelernt, die Interesse
an meiner Arbeit haben, das ist was!
In der Kunst kommt das
Zwischenmenschliche zu kurz. Gleis X hat mich besonders aufgepusht. Da habe
ich gemerkt, die Leute mögen Dich. Das ist ein Grund, noch früher
aufzustehen.
PS: Gegenwärtig arbeitet Tarek mit Leuten vom GleisX an einem neuen
Theaterstück. Im Februar 2000 wird er eine Maxi heraus bringen.
Tarek Abu Hagebs «Bunterführung» (Der Basler Künstler Tarek Abu Hageb hat mit der Stadt im Rücken und der Spraydose in der Hand der tristen Heuwaage-Unterführung ein neues Gesicht beschert, Tageswoche 2.7.2013)