Gespräch mit Kalmoo in seinem Studio im April 1999
Black Tiger hatte mich gewarnt: MCs reden viel. Er hatte recht. Kalmoo redet
viel. Kalmoo hat viel zu erzählen. Er weiss viel und beschäftigt sich mit
vielem. Das war ein Gespräch, bei dem ich bedauerte, kein Aufnahmegerät
mitgenommen zu haben! Er ist ein guter Erzähler und redet viel in Bildern, so
dass man ganz vergisst mitzuschreiben. Kalmoo wird von vielen um seinen
Lebensstil bewundert. Er lebt seinen Traum!
Ich treffe mich mit ihm im Keller
des Sommercasinos. Dort mischte er gerade einen neuen Titel ab. Er hat da
nämlich mit Kollegen eine Plattenfirma.
- Ich mache die Aufnahmen, Greenwood Nunningen
mischt und macht das Mastering. Ein Grafiker
gestaltet die Covers. Drucken lassen wir die
Platten in London, in der Tschechei und
Deutschland. Ich bin für das Rohmaterial zuständig.
Sagt er und zeigt mir seine Arbeit am Computer.
Auf dem Bildschirm sehe ich grüne und gelbe
Balken und viele weisse Kästchen.
- Was ist das? Und was machst Du da?
- Das ist das Lied, was ich gerade aufnehme und
woran ich gerade noch arbeite. Das (zeigt) sind die einzelnen Spuren. Diese
Linie (zeigt) hier ist die Lautstärke. Und hier (zeigt) regele ich die Balance
rechts-links.
Jaja, ich bin der Typ von der Steinenvorstadt, der jetzt alle
Möglichkeiten hat. Ja, aber Ferien liegen kaum drin. Richtige Plattenfirmen,
Radiostationen und Musiksender, das fehlt alles in Basel. In vielem ist es in
Frankreich oder Deutschland besser. Hier liegen viele Talente brach, weil es
keine Risikofreude gibt. In der Welschschweiz wird auch mehr gemacht. Die
Major-Firmen und das Radio sind viel offener.
Broken Shit (die Plattenfirma)
vertreibt alles und jeden, inzwischen auch R&B. Wenn ich schon keine Ferien
habe, dann gehe ich richtig ins Geschäft, nehme auch Werbeaufträge von der
BKB (Basler Kantonalbank) an, eine vernünftige Bank. Dann kann ich
nämlich sagen, ich trete gratis bei Kollegen auf – das Robin-Hood-Prinzip!
Zu Deinem Namen. Du wirst sowohl Kalmoo als auch Puccio genannt.
- Kalmoo ist eine von mir für die Bühne kreierte Person. Ich bin Puccio. Tarek,
Philister, Vasi und Red G. sind andere Personen. Zusammen sind wir TNN.
Wer ist Kalmoo?
- Ein frecher Saurotz, der für einen Moment zeigt, wie er ist. Dass
Vergangenheit wichtig ist, er blickt von der Gegenwart auf die Vergangenheit
und die Zukunft.. In letzter Zeit (grinst) war sein Urgedanke:
Selbstverwirklichung. Und zwar so direkt.
Was bedeutet TNN?
- The Notorious Notators - Die notorischen Notierer.
Und Kalmoo?
- Das ist arabisch und bedeutet "Ich möchte Dir gerne etwas mitteilen". Red
G ist ein Vollblut B-Boy und Top-Breakdancer. Der DJ, er ist die Erde, wo der
Stamm draufsteht, der die Wurzel ernährt und Kraft gibt. Der B-Boy
(Breakdancer) setzt sie um, gibt sie wie der Stamm weiter nach oben. Oben
kommt dann alles heraus - ein Bild. Jeder, der rappt, hat einmal als Breaker
angefangen, da kannst Du sie alle fragen. Die MC setzt sich mit den Bildern
mit der Sprache auseinander, die Sprüher mit der Sprühdose, der Breakdancer
mit seinem Körper.
Woran arbeitest Du da gerade?
- An vielen Projekten, unter anderem an meiner Solo-Scheibe: Kalmoo ist
direkt und darum will ihn keiner. Er ist nicht derjenige, der alles Positive vom
Himmel herunterrappt. Er sagt eher: Es ist nicht immer ein Zuckerschlecken.
Wenn das Herz sagt, tu es, dann tu es. Den Leuten fehlt so etwas.
Requiem. Zwei Jahre nach dem Interview erschienen auf seinem Album "keine e froog?"
Wie bist Du zum Hip-Hop gekommen?
- In Basel gab es viele Gruppen und Gangs voller gelangweilter Jugendliche,
die sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen und andere Leute gestresst
haben. Das war, als ich 13-14 war. Dann habe ich Skelt getroffen. Er kannte
viele Hip-Hopper. Er hat mich sehr beeinflusst. Ich sah ein, dass mir Hip-Hop
mehr bringt. Hip-Hop ist etwas Eigenständiges, das einem eine neue Form gibt.
Hip-Hop ist ein eigener Planet. Jeder ist sein Planet, jeder ist seine Filosofie,
das ist bahnbrechend, revolutionär! 1987 hab ich mit Breakdancen angefangen.
Mein erster Rap hiess "Go for PLO" (1989).
Ein politischer Rap?
- Nein. Von Politik halte ich nicht viel. Aus Politik wurde Scheisse. Die UNO
ist ein Puppentheater.
Die Palästinenser sind meine Brüder: DJ Philister und
Tarek - für sie habe ich den Rap geschrieben. Ich finde es scheisse, wie
Palästinenser von Israelis behandelt werden. Der Gazastreifen, das sind 40
mal so-und-so-viel Kilometer, wo Leute keine Schulbildung bekommen, keine
Medizin, wo Jugendliche vergilben. Da dachte ich, mache ich als 14jähriger
mal die Fresse auf und sage, wie ich als Sizilianer darüber denke.
Ich möchte
wissen, was um mich herum passiert, möchte Krankheiten durchschauen - zur
Weiterentwicklung meines Selbstbewusstseins.
Zu Basel. Wie ging es mit dem Hip-Hop hier los?
- Das war 1981. Da tauchten in der Line die ersten Bilder auf. Da hat es auch
mit dem Breakdance angefangen. Alle Ausländer waren zusammen. N-Top
hiess er, der machte die geilsten Windmühlen, Swirl machte 99 auf der Hand,
10 bis 12 mehr als alle anderen. Er war Schweiz-weit einer der geilsten. Luana
war die Erste, die ich habe rappen sehen, das 1987/88. Da dachte ich "Das ist
geil!". Wo ACE jetzt seinen Laden hat, war früher eine Disco, die hiess
Fairytale. Da waren viele Ausländer, da ist es abgegangen! An Cold Crush
Nights, Jams mit der Old School.
Anfangs haben wir uns im Euler getroffen
und haben gebreakt, dann im Gundeli, St.Johann und Bachgraben. Es gab viele
Quartierparties.
Hip-Hop war verrufen zu der Zeit, manche gehörten zur Steinenjugend, die
andere Leute vermöbelte. Das hat die Aktivisten zersplittert. Wir konnten gar
nicht erst auf Raumsuche gehen. Wenn man sagte Rap, war es aus. Wenn Du
in der Steinenvorstadt warst und Bullen sahen Dich mit Turnschuhen und
Käppi, wurdest Du gleich mitgenommen.
1991/92 war die Suger-Phase
(Heroin). Massenschlägereien waren an der Tagesordnung. Wir sagten
"Verkauf Deinen Scheiss woanders." Wir haben sie vertrieben, in der ganzen
Stadt. Sie hingen in der Steinenvorstadt ab, in Gruppen, die Hälfte war auf
Suger. Die Suger-Sache hat uns extrem geschadet.
Hei, Fuck up, diese Scheisse, sagten wir uns - 1993 - und fingen mit dem
Wake-Up-Projekt an. Dann hat sich die Szene verflüssigt, es kam die
Techno-House - und Ecstasy-Welle, die 2/3 der Szene weggepumpt hat.
Inzwischen sind aber viele Neue dazugekommen. Ich habe B4R mitbegründet,
wir machten Hip-Hop-Projekte, Workshops und Theater und wir merkten, die
Leute wurden lockerer und besser drauf.
Track aus dem Jahr 2003, Video neun Jahre später gleichzeitig in New York und Basel gedreht
Wie bist Du zu dem Studio gekommen?
- Das haben wir zu dritt. Wir haben dafür gespart. Alle vier Elemente sind
vertreten (zeigt auf Graffitis an Wände und Decke). Wobei, es gibt mehr
Elemente. Hip-Hop wächst wie ein Baum. Es gibt noch Beat-Box,
Management, Veranstalter, Promotion, Moderator, Show-Biz. (…)
Hip-Hop ist
nicht nur Unterhaltung, sondern auch etwas Geistiges. Unter den Rappern sind
Poeten drunter. "You can't claim justice for stolen people in a stolen land."
Der Satz von KRS-One ist einfach genial.
Also Edutainment? Bildung und Unterhaltung?
- Ja.
Kalmoo fängt an, über Macchiavelli zu reden, über Banken als Gewinner des
Sezessionskrieges, über Gandhi, den er gerne liest, über Sarajevo, die
Konflikte am Kongo, der den meisten "am Arsch vorbeigeht". Er kritisiert
"einseitige Berichterstattung" in den Medien. "Wem", fragt er, "gehören die
Agenturen?" Mir fehlt Wissen, um mitzureden. "Du beschäftigst Dich nicht
damit", stellt er in einer Mischung aus Verwunderung und Besorgnis fest. Er
fährt fort:
- Hip-Hop ist ein Manifest der Jugend, die auf andere Bahnen geleitet wird
von einer göttlichen Kraft, nicht von Gott an sich, sondern Gott in sich. Wir
machen Forschung auf unsere Art. Wir zeigen unsere Gefühle auf, die
Eingeengtheit. Wir schaffen an uns selbst, erkämpfen uns Freiräume, schaffen
unseren eigenen Tempel.
Gestern hatten wir eine Diskussion. Darüber, dass
es in der Gesellschaft keine Werte mehr gibt. Was heute einen Wert hat, gibt
es morgen nicht mehr. Der Grossteil von uns ist bewusst, dass wir in der
Scheisse stecken. Der Geist ist in Scheisse. In der Wiese liegt Abfall. Die
Leute sehen Abfall und nicht die Blumen. Sie sehen so wie sie sich fühlen. Man
muss in sich gehen und aus sich heraus hüpfen. Spass ist wichtig. Das Lachen
soll nicht verschwinden. Ich stehe auf britischen Humor.
Das war Kalmoo.
Und Puccio?
- Soll ich über ihn erzählen? Hm, er bleibt am liebsten für sich, ist anständig
(muss lachen). Ich weiss nicht - nein. Er ist Sohn von Immigranten aus Sizilien,
aufgewachsen in Basel, die Kindheit war schön. Es machte Spass, mit anderen
Ausländern zusammen zu sein. Nur ist er mit seiner Mentalität angestossen.
Ein Beispiel: Ich besuchte einen Schweizer Kollegen. Die waren gerade beim
Essen. Man sagte mir, ich sollte warten, bis sie mit dem Essen fertig sind. In
Sizilien, wenn da andere Leute kommen, würden sie sagen "Komm her, iss
mit!" Ob man will oder nicht!
Das Gymnasium war nichts für mich. Da hatte ich
nur Probleme. Da bin ich freiwillig gegangen. In Religion fragte ich immer nach
dem Namen Gottes. Man sagte mir, das gehört sich nicht. Ich wollte alles
aufdecken. Die Handelsschule habe ich dann mit Diplom abgeschlossen.
Was für eine Nationalität hast Du?
- Ich bin Doppelbürger Italien-Schweiz.
Er zeigt auf eine Landkarte an der Wand - auf eine Grenze zwischen zwei
Ländern.
- Das ist doch Scheisse, die Grenzen, das Gerede von Staat und Identität.
Kacke, ein Witz, um Menschen dumm zu machen. Astronomen, wenn sie aus
dem Raumschiff schauen, sie sehen keine Grenzen. Das ist gut!
Ja, ich lese
gerne indianische Sachen, Navaho-Prophezeiungen, von den Cherokee, den
Cree: "Wenn der letzte Baum stirbt und so weiter". Ins Militär musste ich
auch. Hirnfick! 15 Wochen in der RS. Aber ich habe gesehen, wie die Scheisse
funktioniert. Als ich gemerkt hab, dass ich mehr nicht sehen brauche, bin ich
zum Psychiater und raus. Ja, und jetzt lebe ich zusammen mit meiner Freundin
und einem zwei Jahre altem Kind.
Nach dem Gespräch blieben wir noch eine Weile vor der Sizilienkarte an der Wand
stehen. Er erzählte von der Insel, von ihrer internationalen Geschichte und
Architektur. "Was meinst Du, wieso hat wohl die Stadt hier einen Elefanten
im Wappen?"