Interview mit Coskun Kenar (Tuff Kid) zwischen November 2019 und März 2020

Welchen Einfluss hat HipHop auf die Gesellschaft? Dieser Frage würde Coskun Kenar aka Tuff Kid gerne auf den Grund gehen. Für ihn war der Einfluss ganz klar positiv: Vor 20 Jahren, als ich mit ihm für diese Arbeit an der Uni Basel zuerst sprach, gehörte er zu den besten Breakern der Welt und zu den wenigen, die vom HipHop leben konnten. 2000 wurde er gar zum «Best single B-Boy» der Welt erkoren. Wie geht es ihm heute? Da der Bewegungskünstler sich nicht mehr mit dem 20 Jahre alten Interview zur Zeit meiner Feldforschung identifizieren konnte, haben wir uns im November 2019 kurz via Whatsapp unterhalten. (Übrigens: Seit seiner Heirat im Mai 2023 heißt er nicht mehr Coskun Erdogandan, sondern Coskun Kenar)

– 20 Jahre nachdem wir zuletzt miteinander gesprochen haben, geistert ein Video von dir viral durchs Netz, wo du quer durch Basel breakst. Es scheint, du bist ganz der Alte geblieben, du lebst deinen Traum?

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Coskun Erdogandan: "Die HipHop-Bewegung hat mir sehr viel gegeben. Jetzt möchte ich etwas zurückgeben." Foto: Yanick Zebrowski
– Ja ich bin meinem Herz und meiner Leidenschaft gefolgt. Jetzt muss ich sagen, zum Glück habe ich das gemacht. Es gab natürlich auch Zweifel, ich habe mich gefragt, ob das wirklich das Richtige ist. Aber jetzt mit 39 Jahren bin ich megahappy darüber, dass ich das durchgezogen habe. Denn in der heutigen Gesellschaft ist es ein Privileg, das machen zu können, was man gerne macht, es ist ein Privileg, sein Potenzial entfalten zu können.

– Genau! Also, wie hast du das geschafft? Viele wolles das ja, aber nur wenige schaffen es?

– Das Wichtigste ist, dass man eine Entscheidung für sich trifft und sagt, "Ich will und muss diesen Weg gehen. Ich will auf meinen Körper, mein Herz und meine Seele hören. Ich will nicht das tun, was die Gesellschaft von mir erwartet.” Und man sollte auf keinen Fall einen Plan B ausarbeiten.

– Es war natürlich ein harter Weg. Denn von nichts kommt einfach nichts. Ich bin ein visionärer Typ, der an das Positive glaubt. Als wir vor 20 Jahren unser Interview gemacht haben, stand ich am Anfang dieses Weges. Ich hatte damals schon gesagt, dass ich vom Breaken leben möchte und ich mir nichts anderes vorstellen kann als meine Kunstform auszuleben und mein Potenzial auszuschöpfen. Das braucht Disziplin, eine positive Einstellung, einen Glauben an sich selbst, aber auch viel Glück.

Video 20 Jahre nach unserem ersten Interview: Coskun breakt durch Basel

– Und Kohle? Das Finanzielle ist für Viele ein Problem?

– Ja, das ist immer ein Problem, aber bislang ging es immer irgendwie.

– Das hast du dir selber erarbeitet?

– Ja.

– Damals hattest du 2 Tanzschulen.

– Wir haben uns in Locations eingemietet und haben dann unterrichtet. Das Administrative hat damals ein Freund gemacht, der auch der Manager unserer Gruppe war. Dadurch hatten wir eine Basis, um vom Breaken zu leben.

– Was du jetzt machst ist viel grösser, oder?

– Ja, seit 3 Jahren bin ich mit zwei Freunden mit the movement beschäftigt. Wir haben ein Kulturzentrum mit 600m2 Nutzfläche mit funktionellem Gym und allem was dazu gehört. Unsere Vision ist, Menschen zu inspirieren, ihnen eine Plattform zu geben, damit sie ihr Potenzial entdecken und entfalten können.

– Ja ich habe mir die Webseite angeschaut, ein Riesending!

– Ja, ein Riesending, und das Projekt wächst und wächst, und es kommen immer mehr Leute dazu, das Team wird immer größer. Weiss Gott, wo das alles hinführt (lacht)

– Du weisst, die Hiphop-Kultur, die ganze Bewegung hat mir persönlich sehr viel gegeben. Ich durfte durch 40 verschiedene Länder reisen, das wäre sonst niemals möglich gewesen. Ich möchte etwas zurückgeben, und das auf eine ganzheitliche und nachhaltige Weise. Ich hoffe, dass wir etwas Wertvolles zurücklassen können durch Kunst und Kultur.

– Ja, das war auch damals so. Ich habe die Hiphop-Kultur während meiner Forschung als eine sehr positive Kultur erlebt.

– Ja das stimmt. Hiphop hat sich allerdings auch verändert. Es gibt verschiedene Arten, die HipHop-Kultur zu leben. HipHop stand für mich immer für das Positive, Innovative und ein bisschen Rebellische. HipHop als Kunst, kombiniert mit einem gesunden Lifestyle, das war der Hiphop, den ich immer gelebt habe und den ich immer noch lebe. Aber bei unserem jetzigen Projekt geht es nicht nur um HipHop. Es geht um drei Bereiche, Bildung, Bewegung und Hiphop-Kultur/Kunst.

– Ich sehe, ihr habt auch Yoga mit dabei.

– Genau, es geht darum alle Synergien zu nutzen, um das Potenzial der Leute auszuschöpfen. Es geht um gesunden lifestyle, um body, mind, soul, spirit und Kunst.

Introduction - The Movement Spot 2018 from Verein the movement on Vimeo.

Ein kurzer Überblick über the movement spot in Pratteln, Basel
– Du bist jetzt 39. Gibt es noch Viele, die in diesem Alter breaken ?

– Ja ich kenne einige, die sogar noch älter sind und aktiv sind. Ich versuche mein Level zu behalten. Deshalb trainiere ich immer noch so oft wie es geht. Aber so wie damals in der Top 5 der Welt zu sein, das ist in dem Alter nicht mehr möglich.

– Dafür bist du jetzt in einer Jury bei Wettbewerben drin wie zuletzt in Moskau!

– Ja, das stimmt. Ich werde oft zu den grössten und berühmtesten Breaking Events der Welt eingeladen.

– Wie geht es der Szene in Basel?

– Ja, einige von den Leuten, die du vor 20 Jahren interviewt hast, gibt es noch und einige sind aktiv. Seit ich mich dazu entschieden habe, in Basel zu bleiben, bewegt sich doch einiges in Basel. Vor dem Projekt gab es nicht so viele Plattformen, wo man sich austauschen konnte. Jeder machte halt sein Ding. Seitdem wir das Projekt machen, lebt die Szene auch wieder mehr.

– Wie geht es dem Nachwuchs?

– Die urbane Tanzszene wächst, und die Jungen sind ambitioniert. Aber ich merke schon, es ist eine andere Generation.

– Aha, was sind die Unterschiede?

– Man hat heute 1000 Möglichkeiten und ist von Informationen überflutet. Ich glaube, es war früher etwas anders. Wir sagten uns "Ich mach das und zieh das durch." Ich bin mir nicht sicher, ob man heute genauso denkt. Das meine ich nicht negativ. Es ist eine positive Entwicklung. Es gab noch nie so viele Möglichkeiten wie heutzutage, seine Kunstform auszuleben.

– Breaking ist mittlerweile ein Riesending. So wie es aussieht wird Breaking olympisch, wird also in den olympischen Spielen aufgenommen. Breaking wird inzwischen in Hochschulen gelehrt, es wird in den bedeutendsten Theatern der Welt performt. Es gibt Tanzschulen, wo man einen Masterabschluss in zeitgenössichem urbanen Tanz machen kann.

– Und da ist Breakdance dabei?

– Ja genau.

– HipHop ist jetzt akzeptierter als vor 20 Jahren?

– Das denke ich schon, Hiphop hat eine grosse Entwicklung gemacht.

– Früher, 1999, hatte Internet keine grosse Rolle gespielt, es gab damals auch kein Facebook. Social Media haben wohl auch Einfluss auf Hiphop?

– Auf jeden Fall. Du musst dir vorstellen, früher konntest du mit deiner Kunst nur kleine Mengen an Leuten erreichen. Jetzt kannst du mit deiner Kunst Millionen von Leuten erreichen und inspirieren. Ohne Internet hätten wir nicht so viele Plattformen, uns zu präsentieren.

– Für die Jungen gibt es heute eine Überflutung von Informationen, sagst du. Wie merkt man das im Hiphop?

– Man konsumiert Informationen sehr schnell. Früher hast du ein Video gesehen, das hat dich so geflasht über Monate und Jahre hinweg. Jetzt hast du Tausende von Videos und Stories auf einmal. Du bist einfach nur noch am Konsumieren und ahnst gar nicht, was da alles dahintersteckt, oder? Ich kann es nicht werten, ich kann nicht sagen, ob das jetzt schlecht oder gut ist. Man muss die sozialen Medien einfach bewusst nutzen.

– Wie schaut es aus mit den Frauen im Breaken? Damals gab es nur wenige.

– Es kommen immer mehr Frauen ins Spiel, es gibt ja auch seit kurzem World Championships im Breaken nur für Frauen. Es tut sich was!

– Damals war ein Thema in meiner Arbeit, dass die Hiphop-Kultur sehr kosmopolitisch ist, es war völlig egal, wo man herkommt. 20 Jahre später werden die rechten Parteien stärker und stärker, es gibt mehr Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Merkt ihr etws davon?

– Ich merke in Basel nichts, weil wir uns in einem Umfeld bewegen, wo Herkunft eben überhaupt keine Rolle spielt. Für mich ist solch ein Verhalten unvollstellbar. Ich denke Fremdenfeindlichkeit hat mit einem Urinstinkt des Menschen zu tun: Angst. Angst ist ein Riesenproblem: Angst vor Neuem, Angst vor Verlust, Angst vor anderen Menschen. Ich bin keine Person, die Angst hat vor Neuem, davor, Risiken einzugehen oder Crossover zu schaffen.

Ein paar ältere Aufnahmen von Coskun aka Tuff Kid. Quelle: bboytay01, youtube

– Lasst und über Kommerz und Sell-Out sprechen. In den letzten Jahren ist die Gesellschaft, so zumindest mein Eindruck, kapitalistischer geworden. Was ist dein Eindruck? Was ist der Einfluss auf Hiphop und Breaken?

– Kapitalistischer? Hmm. Es gibt beide Seiten, das Kapitalistische mit Konsum und Kommerzialisierung. Es gibt aber auch eine Gegenbewegung, und das ist sehr cool, finde ich. Ich denke an generell mehr bewusstes Leben, an veganen oder Hippie-Lifestyle. Ich persönlich finde, man sollte nicht gegen etwas kämpfen und nicht alles boikottieren. Man sollte für sich die perfekte Balance finden, um mit der Gesellschaft zu wachsen. Kommerzialisierung gibt es im Hiphop auch, und im gewissen Sinn braucht es das, um gesund zu wachsen. Schlussendlich: Was heisst Sell-Out und Kommerz? Man kann ja nicht von Luft und Liebe leben. Du musst deswegen Kompromisse eingehen, vertretbar und bewusst.

– Red Bull sieht man in deinen Videos immer. Ein wichtiger Sponsor für dich?

– Man kann sicher darüber diskutieren wie nachhaltig das ist. Andererseits muss man sehen, was für gute Sachen Red Bull macht. Was wäre, wenn sie alle diese Projekte nicht unterstützen würden? Auch andere Firmen, die sonst nicht so nachhaltig sind, investieren in Nischenprojekte, die sonst untergehen würden. Man kann solch ein Sponsoring von der positiven und von der negativen Seite sehen. Deswegen sage ich, man muss die richtige Balance finden.

– Für mich als Journalist wäre für mich Sell-Out, wenn ich auf die andere Seite gehen würde und Werbung machen würde. Eine Grenze wäre für mich überschritten. Was wäre für dich Sell-Out?

– Wenn ich einen negativen Einfluss hinterlassen würde, wenn ich etwas machen würde, wohinter ich nicht stehen könnte, was nur Mittel zum Zweck wäre, sprich Geld verdienen.

– Bei Rechtsradikalen oder Nazis breaken zum Beispiel?

– Genau.

– Damals hatte ich die Interviews für die Uni Basel gemacht, für ein Feldforschungspraktikum während meines Studiums. Wenn du auch über Hiphop forschen könntest, was würdest du am liebsten untersuchen?

– Was ich interessant fände wäre die Frage, was für einen Einfluss Hiphop auf die Gesellschaft, auf die Jugend und auf die Kinder hat. Ich kann mir vorstellen, dass viele mit Hiphop in Berührung kommen, aber was für einen Einfluss hat Hiphop wirklich? An der Harvard University fanden sie in einer Studie heraus, dass Hiphop “the most influential and artistical and educational for youth and young adults” ist oder so. Ich fände es interessant da tiefer in die Thematik reinzugehen.

– Was wären deine Thesen?

– Hiphop hat sicher einen sehr positiven Einfluss. Zuerst muss man jedoch Hiphop definieren und herausfinden was viele unter Hiphop verstehen. Ist zum Beispiel Gangsta Rap Hiphop?

– Finanzielle Aspekte wären auch interessant zu untersuchen. Vor 20 Jahren hätte sich niemand denken können, dass man vom Breaken einmal leben kann. Heutzutage ist es immer noch rar: Warum ist das so? Es gibt auch Kids, die Fussballer werden wollen. Warum haben Tanz und Kunst nicht denselben Stellenwert?

– Deine Pläne?

– Das Projekt soll eine grössere Geschichte werden und einen positiven gesellschaftlichen Impact haben.

– Und wie hast du die Corona-Zeit genutzt? Ich sehe, the movement musste schliessen?

– Für mich gab es trotzdem einiges zu tun. Ich nutzte die Zeit, um einfach mehr für mich zu machen.

– Letzte Worte?

– Peace, love unity and having fun.




SIEHE AUCH:

Coskuns Webseite

Coskun auf Facebook und Youtube

Tuff Kid vom Gundeli (NZZ, 1.7.2002)

Dance City Guide Basel: Entdecke die Stadt zusammen mit B-Boy Tuff Kid (Red Bull, 5.11.2019)

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