Gespräch mit ACE am 6.November 1998 in seinem Laden
ACE gehört zu den Leuten, die vom Hip-Hop leben. Alle kennen ihn. Er ist ein gefragter
und respektierter DJ, veranstaltet regelmässig Jams und hat ausserdem den einzigen
reinen Hip-Hop-Laden Basels. Inzwischen (Ende 1999) hat er eine Filiale von ACE
Records in Bern und einen Streetwear-Laden in Zürich eröffnet. Ein richtiger
Business-Man?
ACE lacht und wird schnell wieder ernst. "Bei vielen, die angefangen
haben, professionell mit Hip-Hop zu arbeiten, hat die Qualität nachgelassen. Ich will
darauf achten, dass es bei mir nicht so wird." Sein Basler Laden befindet sich etwas
versteckt in einem Hinterhof an der Steinentorstrasse. Er ist etwa 30 bis 40 m2 gross. ACE
begrüsst mich und zeigt mir den Laden.
-In Zürich hat es ein viel grösseres Angebot. Da
dachte ich, man müsste in Basel auch mal so etwas
anbieten.
War das nicht schwierig aufzubauen?
-Nein. ACE ist in Basel ein Begriff. Es gab keine
Probleme, der Laden läuft gut. 1996 fing ich an. Da
war der Laden weiter oben in diesem Gebäude, viel
kleiner und nur von 17 bis 20 Uhr offen. Ich betrieb
ihn nur nebenbei. Hip-Hop ist ein teures Hobby, so
wollte ich es mir finanzieren. Vor einem Jahr bin ich
in diesen Raum umgezogen, arbeite zu 100% und
lebe davon.
Was ist so teuer daran?
-Die Platten. Als DJ brauchst du jede Platte zweimal.
Wie viele hast Du?
-Um die 3000. Ausserdem braucht man Plattenspieler, Nadeln, Mixer. 2000 Franken
kostet die Grundausstattung.
Was bietest Du an? Hast Du einen Schwerpunkt?
-Hauptsächlich LPs, Vinyl. Hauptsächlich Rap, East-Coast Rap, Breakdance, Funk, R&B
und Scratch-Platten. Bei den CDs kann ich nicht mit den grösseren Läden konkurrieren.
Ausserdem hab ich Sprühdosen, Hip-Hop-Videos und Magazine. In einer Woche bin ich
genau ein Jahr hier. Es kommen auch Leute aus Süddeutschland.
Und aus dem Elsass?
-Nein, daher weniger. Sonst viele aus den umliegenden Kantonen.
Ich frage ihn nach Platten von Baslern. Er zählt auf: MC Rony/Def Cut, AOH-Family und
eine von Tafs, die ich mir kaufte.
Du bist hauptsächlich DJ?
-Ich habe alles mögliche gemacht: gerappt, gebreakt. Jetzt sprühe ich und bin DJ. 1996
wurde ich Schweizer Meister im Scratchen, 1997 und 1998 türkischer Meister.
Türkischer Meister ?
-Ich bin Doppelbürger. Den Verband DMC (Disco Mix Club) gibt es in 64 Ländern und hat
Sitz in London.
Worauf kommt es beim Scratchen an? Was zeichnet Dich aus?
-Schwierig zu sagen: Technik und Stil (beim Scratchen). Was mich auszeichnet:
Ausstrahlung, Show, Ideenreichtum . Ich kommuniziere mit den Leuten.
Das machen nur wenige. Die meisten stehen nur auf der Bühne.
- Das ist eine Charakterfrage. Da kommt wohl auch mein südliches Temperament rüber.
(ein Velokurier kommt und fragt ACE nach einer Platte)
-Man muss unterhalten können, muss technisch gut sein, einen eigenen Stil haben. Man
braucht ein gutes Gehör, muss sich einfühlen können in die Menge, das Feeling mit dem
Hilfsmittel der Platte verstärken. Wenn sich zum Beispiel die Leute austoben wollen,
bringe ich Hard Core.
Da kann man sich nicht darauf vorbereiten, oder?
-Nein, das macht man spontan. Ich mache alles live. Zu einer Party nehme ich drei Kisten
Platten mit. Man weiss nie, was einem erwartet.
ACE testet u.a. seinen neuen Mixer (2008)
Legst Du regelmässig auf?
-Ich könnte in Basel in irgendwelchen Schicki-Micki-Discos auflegen, aber da kann ich
mich nicht richtig entfalten. Ich bin Booking-DJ und lege an speziellen Anlässen
(Hip-Hop-Parties,Modeschauen, Konzerte, Theater) auf, in der ganzen Deutschschweiz. Ab
dem Jahr 2000 habe ich einen Manager und stehe beim Ministry of Hip Hop unter
Vertrag, der die Bookings für regelmässige Auftritte organisiert. Ich bin viel unterwegs.
Eine richtige Hip-Hop-Location gibt es in Basel nicht.
Und was ist mit dem Sommercasino? B4R hat da doch regelmässig etwas veranstaltet.
-Aber B4R gibt es nicht mehr. Der Hip-Hop-Abend am Donnerstag ist eingegangen. Es
ging nicht lange. Du siehst, so kann nichts Neues entstehen.
Warum?
-Sie mussten sich einmieten. Sie waren darauf angewiesen, dass viele Leute kommen, um
die Miete zu bezahlen, die Leute kamen nicht. Basel ist eine komplizierte Stadt.
Wieso?
-Die Leute stellen hohe Ansprüche. Die Szene ist zersplittert, gespalten. Es gibt sehr viele
kleine Gruppen. Wenn es zehn Gruppen hat, hat jede vielleicht nur zehn Mitglieder. In
grösseren Städten wie Zürich ist das kein Problem. Da hat es hundert Mitglieder in zehn
Gruppen. In Basel hat der Hip-Hop eine hohe Qualität. Aus Basel kommen die besten DJs,
Writer und Rapper der Deutschschweiz. Vielleicht sind die Leute deshalb so anspruchsvoll.
Die Stadt ist jedenfalls zu klein, jeder meint, über den anderen alles zu wissen, die
Gerüchteküche brodelt.
Was ist Deine Vision?
-Meine Vision? (überlegt) Einen Ort zu schaffen für Black Music, Funk, R'n'B, von dem
die Leute sagen, da ist es cool, da hat es gute Leute. Wie das Babalabar.
Wie bist Du eigentlich zum Hip-Hop gekommen?
-Als ich 12 Jahre alt war, ist mein Stiefbruder mit einer Mixplatte heimgekommen.
DJ-sein, das kann ich auch, sagte ich mir und habe mir Schrottzeug besorgt. Bei der
Eröffnungsparty auf dem Stucki-Areal habe ich mich hereingeschlichen. Während mein
Bruder flirtete, habe ich aufgelegt (wir lachen beide).
Was hat es mit Deiner Kings Organisation auf sich?
-Wir haben vor kurzem eine GmbH gegründet, um professioneller zu sein. Wir
repräsentieren alle vier Sparten. Wir haben ein eigenes Graffiti-Magazin und betreiben
eine Künstleragentur. Wir vermitteln DJs und Breaker für Veranstaltungen. Wir
vertreiben Sprühdosen und veranstalten Jams. Wir haben eine Zeit lang Textilien mit
eigenem Design verkauft.
Wie fing alles an? Warum hast Du sie gegründet?
-1994 habe ich mit Mazlum Acar - er ist Profi-Thai-Boxer - die Kings Organisation
gegründet. Wie haben Veranstaltungen organisiert, damit was läuft. Zu der Zeit war Gewalt
auf Parties ein Problem. Wir haben Störenfriede integriert und angestellt. Wir hatten
Erfolg. Nach etwa zehn Parties dachten wir: Wir brauchen einen Namen, der unsere Ideen
widerspiegelt. Der Name ist zweideutig: keine Chance und Qualität. Damals waren acht,
neun Leute, nur Türken. Jetzt ist es durchmischter: Türken, Schweizer, Jugos, Serben,
Kurden, Italiener. Wir sind zwischen acht und 15 Leute.
Warum anfangs nur Türken?
-Die Idee war ursprünglich, den schlechten Ruf wegzubekommen, der Öffentlichkeit
zeigen, dass wir gute Parties organisieren können.
Was ist typisch für Basel als Stadt?
-Erstens das hohe Niveau. Zweitens, es gibt verschiedene Styles. Den ZH-Style kann man
sofort erkennen. Einen einheitlichen BS-Style gibt es nicht. Drittens, die Zersplitterung.
Das ist jedoch nicht unbedingt etwas Negatives. Mich stört, dass es so wenige
Gleichaltrige gibt. Es gibt keine feste Hip-Hop-Location. Sobald es ernst wird, entscheiden
sich die meisten gegen Hip-Hop. Über 18/19 gibt es kaum mehr jemanden. In Zürich ist die
Situation anders. Da gibt es auch ältere Leute.
Wie alt bist Du?
-24.
Wie soll man denn mit Hip-Hop Geld verdienen können?
-Durch diese Agentur zum Beispiel. Wir vermitteln Leute, die Talent haben. Breaker zum
Beispiel, die auf Geschäftsfesten auftreten können. Die Leute wissen gar nicht, was es
alles gibt. Die Künstler stehen parat:Elf: fünf DJs, fünf Breaker, einen MC.
Wie ist dein Verhältnis zur Stadt? Kürzlich machte die Stadt Stress wegen den Sprühern ...
-Ja, sie mussten mal wieder zeigen, dass sie hart durchgreifen können. Aber wenn man
Basel mit Zürich vergleicht, ist Basel eine liberale Stadt. Wir haben es hier sehr gut. Ich
habe nie schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Und viertens, die Szene ist sehr
anspruchsvoll. Das spornt an.
Aber richtig anerkannt ist Hip-Hop noch nicht in BS.
-Das stimmt. Lauryn Hill von den Fugees hören alle. Das ist genauso Hip-Hop wie
KRS-One. Trotzdem kommen sie nicht auf eine Hip-Hop-Party, wenn man sie fragt. Das
erstaunt mich. Hip-Hop? Das ist nichts für mich, sagen sie. Der Begriff Hip-Hop ist negativ
beladen. Er wird verbunden mit Gewalt, Verbrechen.
Die Berichterstattung in den Medien
hat dazu beigetragen. Anfang der 1990er-Jahre ist jedes Verbrechen mit Hip-Hop in
Verbindung gebracht worden. Ende der 80er-Jahre gab es nur wenige Aktivisten. Es gab
viele Gangs und Gegengangs. Jede Gang hatte ihre Schläger. Als sie sich auflösten, hatte
die Polizei die Schläger rausgeholt. Die Aktivisten machten weiter. Darunter waren auch
türkische Gangs und Aktivisten. Diese Vorgeschichte hat die Szene geprägt.
Die Probleme hängen wohl auch mit dem Konkurrenz innerhalb des Hip-Hop-Milieus
zusammen.
-Lass mich eine Geschichte erzählen. Einmal sammelte einer alle zu einem
Diskussionsabend. "Wir machen alle dasselbe. Wieso verkrachen wir uns? Lasst uns das
zusammen machen!", sagte er. Dann meldete sich einer und sagte: "Wenn wir alles
zusammen machen, gibt es keinen Wettbewerb. Ohne Konkurrenz können wir uns nicht
weiterentwickeln." Das, glaube ich, erklärt das sehr gut.
Den Zwiespalt?
-Ja.
Fühlst Du Dich mehr als Schweizer oder Türke?
ACE gibt mir zu verstehen, dass er die Frage nicht sonderlich mag
-Die Frage setzt mir Grenzen. Das mag ich nicht. Ich bin ein 2.Generation- Türke, hier
aufgewachsen und fühle mich nirgends daheim - weder in der Türkei noch hier. Deswegen
sage ich eher, dass ich mich als Türke fühle.
Warum?
-Die türkische Kultur ist schon noch mehr in mir.
Wieso? Du bist doch hier aufgewachsen.
-Wegen der Erziehung. Türken der ersten Generation kamen hierher um Geld zu machen
und wieder zurück zu kehren..
Aber muss man denn alles annehmen? Du kannst ja sagen, ich wohne hier, was interessiert
mich...
-Ja, aber bis du dir solche Gedanken machen kannst, ist es zu spät, da bist du schon 14, 15
Jahre alt.
Ich finde die Frage ja auch blöd, man liest halt immer von den 2.Generations-Ausländern.
Ich mag diese Bezeichnung auch nicht. Du bist ja etwas Neues.
-Ja, eher etwas Undefinierbares.
Spielt Nationalität überhaupt eine Rolle, gerade im Hip-Hop?
-Nein, die Mentalität wird einem aber angezogen. Da merkt man es schon und kommt nicht
immer mit allem so gut an. Das ist nicht rassistisch gemeint. Das wäre gegen
Hip-Hop-Gedankentum.
Es gibt auffallend viele gemischte Paare.
-Ja. Der Hip-Hop-Gedanke ist Akzeptanz (respect).
In Basel sind die Leute nie so vermischt wie in einem Hip-Hop-Jam. Basel hat eine
Tendenz zur Ghetto-Bildung: Hier die Schweizer, da die Ausländer.
-Das ist eine gute Beobachtung. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht, als ich auf dem
Gymnasium war. Die Gesellschaft ist sehr unterteilt. Hip-Hop vereinigt.
In der wissenschaftlichen Literatur steht, Hip-Hop würde hauptsächlich Ausländer aus der
zweiten Generation anziehen, oft ohne Ausbildung. Mir schien, die Leute in Basel seien
mehr vermischt.
-Das stimmt schon. Aber es spricht schon diese Leute besonders an ...
(eine elegant gekleidete Frau um die 20 spricht ACE an. Nach seiner Frage, ob sie auf ein
Hip-Hop-Event mitkommt, sagt sie: "Mit den Kleidern, die ich anhabe?" ACE schaut zu
mir hinüber und sagt mit schlecht unterdrückter Ironie: "Aufschreiben!")
-... Ich würde sagen, von vielleicht 100 Leuten, stammen gut 70 aus dieser Gruppe. Die
meisten springen mit der Zeit ab. Fünf bleiben beim Hip-Hop. Ein Türke kann nämlich nicht
einfach zu seinem Vater sagen: Ich gehe tanzen. Der Vater will, dass die Zukunft seines
Sohnes mit einem seriösen Beruf gesichert ist. Im Sport ist es ähnlich. In den
Jugendmannschaften vom FCB sind die Türken manchmal sogar in der Mehrheit. Bei den
Profis hat es nur noch wenige, in der Nationalmannschaft nur einen einzigen.
Hattest Du auch einen strengen Vater?
-Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen und habe sehr viele Freiheiten genossen. Ich
habe sie aber nicht so genutzt wie viele meiner Kollegen. Drogen, krumme Sachen und so,
damit hatte ich nie zu tun. Du weisst ja, eine Zeit war es Mode, Alu zu rauchen, fast alle
meine Kollegen damals haben das gemacht.
Und du gar nicht. Wieso? Bewusst? Erziehung?
-Mein Schlüsselerlebnis war das Konzert von ICE-T in Basel. Ich war 12 damals, und
meine Mutter erlaubte mir nicht hinzugehen, weil ich zu jung war. Wir haben uns eine
Weile gestritten und fanden einen Kompromiss: Ich darf hin, wenn ich keine Drogen
nehme. Ich habe das Versprechen gehalten.
Und deine Kollegen hatten keine Eltern, die sich so um einen kümmerten?
-Nein, nicht so. Das hängt mit der Nationalität zusammen. Die Eltern arbeiten Vollzeit und
haben keine Zeit für ihre Kinder.
Was hat das mit Nationalität zu tun? Bei den Schweizern arbeiten doch auch oft beide
Elternteile.
-Die Migranten kamen hierher, um Kapital zu machen, da blieben die Kinder auf der
Strecke. Die Migranten in den 70er-Jahren kamen nur aus finanziellen Gründen hierher
und wollten wieder in ihr Ursprungsland zurückkehren. Verstehst du? Sie waren mehr als
die Schweizer fixiert aufs Geld-Verdienen. Schweizer haben schon eine bessere Grundlage
- ökonomisch und sozial.
Es ist 19 Uhr geworden. ACE muss seinen Laden schliessen. Wir gehen hinaus. Er geht zu
einem Basketball-Match. Sein Bruder hat eine türkische Mannschaft gegründet.
Der «King» ist zurück in Basel (Sechs Jahre lang hatte der Basler HipHop-Pionier DJ Ace seiner Heimatstadt den Rücken gekehrt, um in New York, Istanbul und Zürich seine Karriere voranzutreiben. Basler Zeitung 25.2.2011)