Buch über das Phänomen Attac
Die Wirtschaft ist globalisiert, nicht jedoch die Politik. Attac dringt ein in dieses Vakuum. Attacs Erfolg hängt von dem Willen der Mitglieder ab, mit ihren politischen Gegnern zu kommunizieren. Das schreibt der norwegische Journalist Sten Inge Jørgensen in seinem Buch “Attac und Globalisierung”.
Während Parteien die Mitglieder davon laufen wie nie zuvor, engagieren sich immer mehr Leute bei Attac. Attac ist die am schnellsten wachsende politische Bewegung der Welt. Der Bewegung geht es um eine demokratischere und gerechtere Globalisierung. Sie möchte nicht alles den Kräften des Marktes überlassen.
Jørgensen erklärt Attacs Popularität durch die zunehmende Bedeutungslosigkeit politischer Parteien und Gewerkschaften in Bezug auf die durch die wirtschaftliche Globalisierung hervorgerufenen Probleme.
Demokratisches Defizit
Parteien gleichen einander immer mehr und verlieren an Einfluss. Sie steuern nicht mehr, lassen immer mehr Bereiche der Politik vom Markt bestimmen. Vor allem sind Parteien national ausgerichtet. Dasselbe gilt für die Gewerkschaften, für die globale Solidarität eine immer geringere Rolle spielt. Es gibt keine politische Instanz, welche Globalisierung kontrollieren und das Verhältnis zwischen Nord und Süd steuern kann.
Das zeigen auch Jørgensens Kurzportraits von Weltbank, EU, WTO und G8, die ohnehin alle von derselben Ideologie geleitet werden: dem Neoliberalismus, dem es um freien Handel aller Waren und Dienstleistungen geht mit möglichst wenig Einfluss vom Staat.Die UNO hat keine formelle Macht und wird ohnehin von den USA dominiert.
Die Politik eines Landes wird mehr und mehr von Konzernen und dem Finanzmarkt und den Wechselkursen bestimmt. Unternehmen betreiben “Outsourcing” und “Downsizing”, um sich attraktiv zu machen bei den Börsen. Beim Outsourcing lassen sie Teile der Produktion von externen Betrieben ausführen. Der Vorteil: Verkauft sich das Produkt nicht mehr, muss der Betrieb die Angestellten nicht mehr bezahlen. Das Risiko des Marktes liegt nun bei den Angestellten und nicht mehr bei der Betriebsleitung. “Downsizing” ist selbst bei Betrieben mit grossem Überschuss beliebt. Ihr Kurs an der Börse steigt gewaltig, wenn Entlassungen angekündigt werden.
Neue politische Organisationsformen
Parallel mit dieser Bewegung gewinnen NGOs (non-governmental organisations), die auch CSO (Civil Socity Organisations) genannt werden, an Bedeutung. Selbst die Weltbank und die Welthandelsorganisation stehen in Dialog mit ihnen. Mit den NGOs kommen neue politische Ausdrucksformen an den Tag.
“Reclaim the Streets” veranstalten Strassenfeste, um die Strasse von transnationalen Konzernen zurück zu gewinnen, die sie nach Auffassung der Aktivisten mit ihren Markennamen okkupiert haben.
“Culture jamming” meint Manipulation bekannter Markennamen. Man schlägt die Konzerne mit ihren eigenen Waffen. Man veranstaltet getürkte Pressekonferenzen, enttarnt so die Rolle der Medien und macht die Bevölkerung kritischer. Adbusters, die Jørgensen nicht erwaehnt, gaben während der Demonstration gegen die Weltbank in Oslo im Juni 2002 z.B. eine Boulevard-Zeitung im Stil der norwegischen Bild-Zeitung VG heraus mit dem Namen VB für Verdensbanken (Weltbank).
Mit der Kampagne “Fairer Handel” (Fair Trade) kann man Firmen zwingen sich so verhalten wie die Kunden es wollen, sonst werden ihre Waren nicht gekauft. Die Anzahl an Fair-Trade-Produkten wächst staendig.
Attac und Globalisierung
Attac ist nicht revolutionär, betont Jørgensen. Attac ist weder Gegner von Globalisierung noch Freihandel. Attac will noch mehr Globalisierung, aber von der gerechten Art, im Sinne der UNO-Menschenrechtserklärung. Beim Freihandel muss man differenzieren. Es gibt Machtstrukturen jenseits des rein Handelstechnischen, die bestimmen, wer gewinnt und wer verliert. In Brasilien werden grosse Landflächen dazu benutzt, gentechnisch veränderten Soya zu produzieren, der als Schweinefutter in den Westen exportiert wird, während 60 Millionen Menschen in Brasilien hungern.
Attac konzentriert sich auf wenige zentrale Themen. Dazu gehört die Forderung nach der Besteuerung der Devisentransaktionen (Tobin-Steuer), Abschaffung von Steuerparadisen, Schutz des staatlichen Rentensystems vor privaten Rentenfonds, Schuldenerlass für die ärmsten Länder sowie Stopp der GATS-Verhandlungen, die immer mehr Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit dem Markt ausliefern wollen.
Attac Norwegen
Attac Norwegen wurde am 31.Mai 2001 von der Wochenzeitung Morgenbladet (bei der Jørgensen arbeitet) gegründet. Zwischen 700 und 800 Leute kamen zum Gründungstreffen. Der breite Zuspruch, eine drohende Vereinnahmung durch das Establishment stellte anfangs ein Problem dar. Nur die rechtskonservative wirtschaftsfreundliche Partei “Høyre” und die rechtspopulistische “Fremskrittspartiet” lehnen Attac ab. Høyre gründete eine Gegenorganisation names motattac (“gegen-attac”).
Ein speziell norwegisches Problem war und ist die Haltung zur EU. Man wurde sich einig, keine Stellung zu beziehen, nur zur EU-Politik. Als speziell norwegisches Thema wurde die Überwachung des norwegischen Ölfondes beschlossen.
Die Zukunft
Jørgensen ist optimisch was die Zukunft von Attac betrifft. Skeptisch machte ihn lediglich die Dominanz der Linksaktivisten auf dem Gründungstreffen. “Das einzige, was gegen den Erfolg von Attac spricht, sind die Mitglieder”, schreibt Jørgensen. Einige hätten Probleme, mit ihren politischen Gegnern zusammen zu arbeiten und wollen Attac als Mittel in ihrem ideologischen Kampf benutzen. “Gefährlich wird es auch”, so Jørgensen weiter, “wenn der Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung, der für viele eine zentrale Motivation für ihr Attac-Engagement darstellt, tonangebend für die Arbeit von Attac wird.”
MEHR DAZU:
Attac feiert Geburtstag … und wächst seit der Gründung rasant.
Die Organisation entwickelt sich dabei eher zum Gemischtwarenladen als zum hierarchischen Protestkonzern à la Greenpeace (taz, 23.4.05)
Ignacio Ramonet: Die Märkte entschärfen (Dieser Text von 1997 wurde zum Gründungsmanifest von Attac. Die globalisierungskritische NGO hat heute 90.000 Mitglieder in 50 Ländern, taz 17.4.2020)
Mit Samba gegen die Weltbank (Notizen nach drei Tagen in Oslo, um gegen die Weltbank zu demonstrieren, eigener Text 25.7.2002)
Alca Ftaa: Wenn Konzerne Staaten verklagen koennen (eigener Text, 28.4.03)
Wo bleiben die positiven Beispiele? Bericht vom Norway Social Forum 2002(eigener Text, 3.12.02)
Zur Gründung von Attac Schweiz (WoZ, 11.3.99)
The new grassroots politics needs more democracy – not more political strongmen (Naomi Klein, The Guardian 1.2.03)