3.4. Bilanz der Saamenpolitik


Was hat die saamenpolitische Bewegung gebracht? Wie wir auf den vergangenen Seiten gesehen haben, ist das Bild zwiespältig.

Rehabilitierung saamischer Identität

Auf der einen Seite hat die Bewegung zu einer Rehabilitierung saamischer Identität geführt. Saamisch-Sein ist nicht mehr in dem Masse ein Stigma, wie es früher mal war. In manchen Gebieten ist es gar "in". Man kann sagen, die Saamen hätten ein neues Modell für saamisches Selbstverständnis geschaffen, ein neues positives Verständnis von sich als Saamen, das auch die Norweger übernommen haben (Eidheim 1992:4).

Das positivere Bild von saamischer Identität haben nicht nur die Saamen, sondern mittlerweile auch die Norweger. Saamen haben sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpft. Man kann jetzt Saamisch in der Schule lernen. Bis 1968 war es verboten, Saamisch in der Schule zu sprechen. Saamen haben eine gut ausgebildete Elite. In der Universität Tromsø zum Beispiel werden sämtliche Fächer aus nordnorwegischer und saamischer Perspektive gelehrt, ob nun Geschichte, Ethnologie oder Recht: So hat Ande Somby 1999 seine Dissertation über saamische Rechtstraditionen abgeliefert. Im Universitäts- Krankenhaus haben gar saamische Schamanen (sie werden "Healer" genannt) Einzug gehalten. Wer hätte das vor 30, 40 Jahren für möglich gehalten? Seit 1980 werden die rechtlichen Ansprüche der Saamen untersucht und debattiert, und wie wir gesehen haben, ist der Staat zu Zugeständnissen bereit. Es ist viel passiert - auch wenn es für manche der besonders engagierten Aktivisten viel zu wenig ist, so hat sich doch die Grundeinstellung zu Minderheiten und Urbevölkerung zum Positiven verändert. Und das ist viel.

Spaltung der Gesellschaft

Auf der anderen Seite hat die Saamenpolitik das Verhältnis der Norweger, Kvenen und Saamen untereinander verkompliziert. Saamenpolitik hat das Denken in ethnischen oder nationalen Kategorien verstärkt, die Bevölkerung polarisiert, Mauern gebaut. Das ist es, was viele Leute stört, und man hört oft Aussagen wie: "Die Saamenpolitik hat die Bevölkerung gespalten." Die persönliche Identität ist politisiert, die Leute haben das Gefühl, ständig Stellung beziehen müssen.

Dies ist ein charakteristisches Dilemma von ethnischen Bewegungen. Eindeutige Grenzen zu ziehen ist zwangsläufig ein Teil der Arbeit von ethnopolitischen (wie nationalistischen) Bewegungen. Saamenaktivisten müssen ein Wir-Gefühl erzeugen, und das schafft man eher, wenn man das betont, was einem von "den anderen", den Norwegern unterscheidet.

Notwendig sind bei dieser Arbeit Idiome nach innen und nach aussen, um die sich die Saamen sammeln und die sie von den Norwegern abgrenzen. Idiome sind Zeichen, Symbole und Kategorisierungen für die "Identitätsverwaltung". Die Schaffung solcher Idiome geschah durch eine "Umkodierung saamischer Kultur". Bestimmte Merkmale wurden ausgewählt und mit einer symbolischen Bedeutung für die Gemeinschaft versehen: Saamische Sprache zum Beispiel wurde nicht mehr als eine aussterbende Sprache angesehen, sondern wurde zur Muttersprache. Die Kofte (Saamen- Tracht) war nicht mehr das stigmatisierende Kleidungsstück, sondern Nationaltracht. Der Joik (saamische Gesangsform) wandelte sich von einem minderwertigen Gesang zu einem Hauptbestandteil der Volksmusik (Eidheim 1971:76-79). Entsprechend richtete sich die Politik aus auf die Saamen als eine eigenständige Gruppe oder Kategorie. Zuvor waren sie nur als Variante in der norwegischen Kultur angesehen.

Eheschliessung mit Norwegern ein "ethnischer Verrat"

Vigdis Stordahl (1994) zeigt den Zwiespalt dieses Prozesses der ethnischen Grenzziehung am Beispiel der Gemeinde Karasjok auf. CSV-Anhänger dominierten den Diskurs. Für sie gab es keinen Raum für Zweifel, wer Saame war und wer nicht. Man war entweder Saame oder Norweger. Der Unterschied wurde als eindeutig dargestellt. Alte Mythen und Stereotypen, so Stordahl, wurden hervor geholt und neue wurden produziert. Den Abstand sahen CSV-Anhänger als so gross an, dass Eheschliessung mit Norwegern als "ethnischer Verrat" angesehen wurde (Stordahl 1994:154-155).

Der Diskurs drehte sich in den 70er- und frühen 80er-Jahren nicht mehr wie in den 50er- und 60er-Jahren um die Frage: Ist es möglich, Saame zu sein? Jetzt hiess die Frage: Wer ist Saame? Diese Grenzziehung verstärkte sich in den folgenden Jahrzehnten mit der Etablierung des Saamenparlaments (Wer darf sich in das Saamenregister einschreiben?) und der Diskussion um eventuell obligatorischem Saamischunterricht und Landrechte für Saamen. Die Probleme, die viele Leute mit der Grenzziehung hatten, wurden ignoriert, ebenso das Faktum, dass fast alle von ihnen Norweger, Saamen und Kvenen unter ihren Vorfahren haben. Stellvertetend für viele sagte Signe, Mitte 30 und Norwegerin, die ihr ganzes Leben in Karasjok verbrachte, zu Vigdis Stordahl:

(aus Stordahl 1994:29-30).


Vigdis Stordahl fragt sie, ob sie sich vorstellen könne, hier zu bleiben. Signe antwortet:

(aus Stordahl 1994:30).


Auf die Frage, was sich ändern solle, sagt Signe:

(aus Stordahl 1994:31).


Eine eigene Tracht?

Diese Aufsplittung der Bevölkerung wird von vielen Leuten beklagt. Arild Hovland (1996, 1999) ist dies während seiner Feldforschung unter jungen Saamen aufgefallen. Als er mit der Forschung 1994 begann, war eine hitzige Diskussion über das Projekt, eine eigene Tracht (kofte) für ihre Region (Lyngen) zu kreieren, in Gang. In der Bevölkerung war das ein kontroverses Thema. In Lyngen hatte man seit den 1880er-Jahren keine Kofte getragen. Nun war die Frage der Tracht zu einer wichtigen symbolischen Angelegenheit geworden.

Rolf, Anne, Tone und Hilde diskutieren. Anne meint: Ist eine eigene saamische Kofte nicht unnötig? Kann man nicht eine Tracht für Kåfjord machen, die keine Grenzen zwischen den Leuten zieht? Selber wolle sie nie Kofte tragen. Sie sei als Norwegerin aufgewachsen. Rolf erwidert etwas genervt, dass, jedesmal wenn man über etwas Saamisches rede, die Behauptung aufgestellt würde, man wolle Grenzen zwischen den Leuten ziehen. Niemand rede über die Grenzen, welche die norwegische Kultur ziehe (Hovland 1999:171-173).

Die Musikerin Mari Boine äusserte mir gegenüber ähnliche Bedenken hinsichtlich der saamenpolitischen Bewegung. Wir diskutierten über den Kultur-Begriff und Thomas Hylland Eriksens Version. Für ihn ist gemeinsame Kultur von der Situation und von einzelnen Individuen abhängig. Sie ist da, wenn man miteinander kommunizieren kann. Dann gibt es keine (kulturelle) Grenze zwischen den Menschen. Darauf sagte sie:

(Mari Boine 1995, persönliche Kommunikation).


Eine saamische Wohnsiedlung?

Wie weit werden saamische Extremisten gehen? Gelegentlich hört man von Stimmen, die einen eigenen saamischen Staat fordern. Man muss nicht so weit gehen. Vigdis Stordahl (1994) berichtet von einer Initiative in Karasjok. Dort wollten einige Saamen eine eigene Wohnsiedlung für Saamischsprechende errichten. Sie begründeten dies damit, dass sie ihren Kindern "ein lebendiges und aktives Sprach- und Kulturmilieu" schaffen wollen. Ihre Erfahrung sei, "norwegische Kinder könnten nicht Saamisch, während saamische Kinder mehr oder weniger Norwegisch können. Die Spielsprache wird somit Norwegisch und Saamisch wird ins häusliche Milieu verdrängt." Dadurch, dass sie das Spielmilieu gegenüber norwegisch sprechenden Kinder abschirmten, wollten sie das umgehen.

Die Lokalzeitung stellte in teils grossen Lettern fest: "Die Gemeinde Karasjok errichtet SAAMISCHE GHETTOS". Kurze Zeit später wurde die Gemeinde angezeigt wegen Rassendiskriminierung, indem sie vorschrieb, dass die Bedingung für den Grundstückerwerb sei, dass die Bewerber saamisch sprechend sein müssen (Stordahl 1994:173- 176).

Viele Leute, ob nun Saamen oder Norweger, äussern die Befürchtung, wenn eine Gruppe Vorrechte gegenüber einer anderen bekomme, berge dies Stoff für Konflikte. Unterschiedliche Behandlung ist etwas, was die meisten Leute ablehnen. Noch immer ist beispielsweise das Saamenparlament umstritten. Nur Saamen dürfen ihre Stimme abgeben, Norweger nicht. Bei der norwegischen Wahl dürfen Norweger und Saamen vortieren. Wo bleibe da die Gerechtigkeit, fragen sich manche. Dasselbe ist der Fall in der Landrechts-Debatte. Quer durch alle Lager ist man sich einig, dass Rechte nicht auf ethnischer Grundlage verteilt werden dürfen. Für viele Leute ist die Saamenpolitik deshalb widersprüchlich: Wie lässt sich der Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem Postulat nach positiver Diskriminierung vereinbaren?

Vigdis Stordahl zieht eine kritische Bilanz. Durch die scharfe Grenzziehung zu den Norwegern hätte die Saamenbewegung das Recht auf Selbstdefinition eingeschränkt:

(Stordahl 1994:163).


Ethnopolitisch aktive Leute in der Saamenbewegung hätten sich ausserdem zu sehr an ihre Prinzipien geklammert. Die Bewegung habe es nicht geschafft, Selbstkritik zu üben und die Perspektive von früher auszuweiten, als es darum ging, Grenzen zu den Norwegern zu ziehen:

Sie (die Saamenbewegung) hat es nicht geschafft, die lokalen Diskurse zur Kenntnis zu nehmen, die die Probleme aufzeigen, mit denen saamische Individuen im saamischen Alltag der 1980er- und 1990er-Jahre konfrontiert sind. Deshalb konnte sie auch nicht die Rolle des Wegweisers in der internen saamischen Problematik spielen, wofür sie das Potenzial gehabt hätte
(Stordahl 1994:161-162).


Ausblick: Ein Generationswechsel

Wie die Arbeit gezeigt hat, besteht die Saamenbewegung aus verschiedenen Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen. Mittlerweile steht auch ein Generationswechsel an. Die Aktivisten, von denen Stordahl spricht, werden zunehmend von den Jüngeren heraus gefordert. Für die Jungen sind die Grenzen nicht so absolut. Sie gehen flexibler damit um und vernetzen sich international. Wenn sie ein saamisches Musikfestival wie Riddu Riddu in Kåfjord auf die Beine stellen, sind auch Didgeridoo-Musiker von den australischen Aboriginees oder Kehlkopfsänger aus Sibirien mit von der Partie, gerne unterlegt mit elektronischem Sound.

Ein neues Verständnis von saamischer Kultur und Identität entwickelt sich. So sagte eine in der Saamenbewegung engagierte junge Frau Anfang 20 zu Arild Hovland über das Verhältnis zwischen Norwegischem und Saamischem:

(Hovland 1996:86).


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