Gespräch mit Mickey Laze am 10. Januar 1999 im Jugi Gundeli
In Basel sind einige Frauen in der Hip-Hop-Szene aktiv. Auf Mickey Laze bin
ich anlässlich eines Mädchen-Aktions-Tages in Lörrach aufmerksam
geworden. Dort gab Mickey Kurse in Breakdance. Ich traf mich mit ihr im
Jugi Gundeli.
Du tanzt, gibst Breakdance-Kurse... arbeitest Du noch nebenher?
- Nein, nicht fest. Es gibt so viele Veranstaltungen im Ausland. Ich kann dann
schlecht sagen, ich muss mal schnell in die USA (lacht).
Breakdance und Hip-Hop sind Dir also wichtiger als irgendein Job...
- Ja. Ich bin vier Jahre auf die Handelsschule gegangen, mir fehlte nur noch
ein Jahr. Aber ich habe die Schule nicht so wichtig genommen (lacht). Das ist
wie eine Sucht - ähnlich wie beim Ballett. Jetzt...
...bereust Du es?
- Eigentlich schon, obwohl es für mich okay war. Aber die Schule sollte zuerst
kommen, das würde ich auch anderen raten.
Wann hast Du angefangen?
- Auf der Realschule, da haben Kollegen getanzt. Anfangs habe ich nur
zugeschaut. Hip-Hop wurde ein Lebensstil. Schule fand ich langweilig, immer
derselbe Ablauf, ich hatte kein Ziel.
Viele sind über Kollegen zum Hip-Hop gekommen. War es also zufällig?
Wärst Du also mit anderen Kollegen vielleicht eine ... Tennisspielerin
geworden oder so?
- Nein. (Pause) Ich habe viel getanzt, Modern Dance zum Beispiel und war
schon als Vierjährige im Ballett. Ich mache viel Sport, spiele auch Basketball.
Am Anfang habe ich auch gesprayt. Ich mache es nicht mehr. Graffiti ist mir zu
hart. Was man da alles riskiert! Für seine Ehre muss man ja auch illegal
sprühen. Wenn man kein Geld hat und erwischt wird und dann zahlen muss...
Bist Du mal erwischt worden?
- Nein, aber ein Freund wurde geschnappt.
Wie war das nun als Frau mit Breakdance anzufangen? Warst Du die einzige
Frau?
- Erst war es nur Spass. Dann habe ich eine aus Zürich kennengelernt, sie hat
Breakdance ganz seriös gemacht. Das hat mich beeindruckt.
Wie hast Du sie kennengelernt?
- Über Kollegen. Sie trainierte im Dynamo (Jugi in ZH).
Ich war letztes Jahr im Urban Skillz, da habe ich ein paar Frauen gesehen, die
getanzt haben.
- Ja, in Zürich gibt es mehr Frauen, die breakdancen. Jetzt trauen sie sich
(begeistert). Das Problem bei Mädchen ist, dass sie allein nicht leicht in ein
Jugendhaus kommen. Es ist leichter in einer Gruppe mit Jungs. Viele
Mädchen, die tanzen, hatten einen Freund, der breakt.
Und Du warst in einer Gruppe mit Jungs.
- Ja. Sie hatten immer gesagt, "Mickey, mach's doch auch einmal. Du kannst
es auch."
Ah ja?
- Hm, es gibt schon viele Jungs, die es Frauen nicht zutrauen. Aber viele Jungs
können in der Akrobatik gar nicht mit den Frauen mithalten, wie in
Deutschland.
Ja?
- Kerstin zum Beispiel, sie ist verheiratet, hat drei Kinder, sie macht richtige
Power Moves, sehr akrobatisch. Sie hat Style! Sehr wichtig ist der
Background. Sie hat Judo und Kunstturnen gemacht.
Was ist typisch für die Basler Szene?
- Da muss man unterscheiden. Früher war schon gut, wer bei einem Jam im
Kreis tanzte. Heute ist das Niveau höher, man muss wirklich gut sein. Früher
reichte es, wenn man in der Schweiz auftrat, und es war schon toll, wenn man
schon in Deutschland oder in Frankreich war. Heute ist normal, dass man
überall hingeht, für ein Wochenende mal in die USA oder nach Japan fliegt.
Wirklich? Wie finanziert Ihr das? Arbeitet Ihr alle?
- Ja, viele. Aber nur temporär, bis man das Geld zusammen hat. Ich bin auch so
glücklich, auch wenn ich mal für eine Zeit kein Geld habe. Früher gab es keine
Schule, in der man unterrichten konnte, jetzt wird es Business. Ich unterrichte
meist in Jugendhäusern, ich lehre nicht nur Breakdance, sondern erzähle auch
von der Hip-Hop-Kultur. Sie sind dann ganz fasziniert - Wow das gibt es alles! -
Die meisten sind immer noch dabei. Früher war die Szene verkrampft und
verschlossen, heute ist sie offener.
Gibt es viele Übungsräume in Basel?
- Es hat schon genug, nur muss man die besten Böden haben. Der Traum von
vielen ist, ein eigenes Studio zu haben. Ich trainiere meist hier. Ich habe noch
viele Kontakte in der Schweiz, wo ich trainieren kann, auch bei einer Freundin
in Zürich.
Und in Japan??
- Nein, da war ich noch nicht, ich habe es aber vor!
Wo warst Du schon?
- In New York, L.A., San Diego, Paris, Frankfurt...
Was ist Deine Nationalität?
- Ich bin Doppelbürgerin Schweiz-Philippinen
Wann bist Du in die Schweiz gekommen?
- Ich war elf. Als ich acht, neun Jahr alt war, habe ich den USA gewohnt. Da
haben wir Verwandte.
Aha, deshalb... Als ich nur Deinen Anrufbeantworter kannte, dachte ich, Du
seist Amerikanerin. Da sprichst Du ja in reinem American English.
- Jaja, auf den Philippinen spricht man ja auch Englisch. Und in der
Hip-Hop-Szene muss man ohnehin Englisch können.
Was machen Deine Eltern?
- Meine Mutter war mit einem Schweizer verheiratet, sie sind jetzt geschieden.
Sie lebt glücklich hier. Mein Vater lebt in den USA.
Was mir auffällt: Die
Schweizer haben Angst vor Neuem. Wir (Hip-Hop-Szene) wollen sie
überzeugen, dass Du das machen kannst, was Du willst.
Wenn Du an Deine Jugendzeit in der Schweiz denkst. Was hat Dich geprägt? Was ist Dir aufgefallen?
- Man hat hier sehr viele Chancen, man muss sie nur nutzen.
Mit welchen Ländern vergleichst Du da?
- Mit den USA. Da haben sie nicht so viele Möglichkeiten. Sie können dort
nicht so viel herumreisen wie wir. Wenn man auf einer Party ist, egal ob in New
York oder sonstwo in den USA, Schweizer triffst Du überall. Auf einem Jam in
New York habe ich 50 Schweizer getroffen. Die DJs haben die Schweizer extra
im Mikro begrüsst. Oder auch in Paris. Da merkt man, wir haben Geld dafür,
was wir wollen.
Wenn man aktiv ist in der HipHip-Szene, lernt man so viele
Leute kennen (schwärmerisch), es ist egal woher du kommst, es zählt nur, was
du machst. Die Szene ist ja so international. Im Internet kannst Du
herumsurfen ... nach Australien oder Hawaii und sehen, wow! (euforisch), die
machen das auch, du bist nicht allein. Da bekomme ich richtig Gänsehaut! Das
gibt ein gutes Gefühl.
Nationalität ist also kein Thema im Hip-Hop?
- Nein, nur Leistung und Charakter zählen. Allgemein soll man nicht einspurig
sein in den Dingen, die man macht. Die ersten Fragen, wenn man sich trifft,
sind "Wie lange tanzt Du schon? Wo wohnst Du?" Nationalität ist nicht
wichtig.
Woher kommen Deine Freunde und Kollegen?
- Aus Spanien, Thailand, Türkei, Italien, Ungarn, Japan, Philippinen - hier gibt
es viele Mischlinge...
...und Schweizer?
- Unter den Tänzern gibt es wenige Schweizer, sonst in der Szene schon.
Ja, das ist auffällig. Bei den MCs scheinen Schweizer zu dominieren...
- Das hat mit der Sprache zu tun. Man muss gut sein.
Wohnst Du gerne in Basel?
- Basel ist ganz gut zum Leben, ganz gemütlich. Es läuft nur wenig, man muss
auswärts. Es ist nicht zu gross und nicht zu klein. Es macht mir gar nichts, dass
nicht so viel läuft. Ich fahre lieber weg als in einer hektischen Grossstadt leben
zu müssen. Ich geniesse es so. Berlin zum Beispiel ist mir zu gross. San
Francisco kann ich mir schon eher vorstellen.
Was machst Du in Deiner Freizeit?
- Oh, dafür bleibt kaum Zeit. Ich würde gerne mehr Sprachen lernen, aber....
Wie finanzierst Du Dich?
- Ich gebe Hip-Hop-Kurse und arbeite temporär, mal an der Kasse, alles, was
den Körper nicht beansprucht.
Was sind Deine Pläne?
- Sprachen lernen, eine Ausbildung. Ich muss an meine Zukunft denken. Man
muss ein zweites Standbein haben, es ist nicht gut, einseitig zu sein... Ich würde
gerne Bibliothekarin werden.
Ich mache ein erstauntes Gesicht.
- Ich weiss, das passt irgendwie gar nicht zu mir. Ich würde es aber gerne
machen, ich lese gerne. Nur muss man dafür auf eine Privatschule in Bern oder
Zürich gehen.
Zum Abschluss: Gibt es noch ein wichtiges Thema, das wir noch nicht
angesprochen haben? Gesprächsthemen in der Szene?
<
- Ein Insider-Thema: Die Leute schauen nur auf die Leistung und nicht auf den
Charakter. Was Du bist, das Innere, das ist doch Hip-Hop. Viele sind
bekümmert über die Entwicklung.
Welche Leute denken so?
- Zum Beispiel Veranstalter, die Leute für ein Jam organisieren. Sie nehmen
Leute, die gut sind, aber keinen guten Charakter haben und nicht Bescheid
wissen über Hip-Hop und seine Geschichte. Dafür ist die Zulu-Nation da: damit
Leute nicht verblinden. Viele benutzen Hip-Hop nur dazu, um Geld zu machen,
tanzen nur wegen fame und damit ihr Name auf dem Flyer steht. Das ist
schade, so entstehen Vorurteile über die ganze Szene.
Aber im Hip-Hop geht es doch um fame und respect.
- Der Unterschied ist: Mache ich es mit Spass oder verbissen wie ein Roboter?