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Die neue Generation der Schweizer HipHopperinnen

Fadengrade Fabuliererinnen



Judith Wyder, WoZ, 28.11.02



Roh, real und meistens rotzfrech: So rappen hierzulande die Mädels. Big Zis und Mad Madam aus Zürich, Zora aus Luzern und MC Serena aus Effretikon plaudern aus der HipHop-Schule.



Big Zis: «Viele junge Frauen finden meine Texte Scheisse. Die rutschen ihnen irgendwie in den falschen Hals.»

Mad Madam: «Dafür haben die Älteren eine Scheissfreude. Die finden Big Zis voll emanzipiert. Dabei ist sie das so gar nicht.»

Big Zis: «Du hast gerade gesagt, ich sei nicht emanzipiert?»

Mad Madam: «Ich will sagen, du bist schon emanzipiert. Aber nicht so, wie die meinen.»



So fadengrade hat im hiesigen Idiom noch keine gerappt: «Wo isch dä priv Simpel mit sim Siff-Pimmel, ah, är kifft deet hinde, dä schlöpft mir nöd dur d’Finger» («Das was’ git»). Aber hallo! Da redet eine nicht um den heissen Brei rum, sondern nennt die Dinge beim Namen. Und dies, ohne einmal mit der Wimper zu zucken. Sie, die kein Blatt vor den Mund nimmt, heisst Big Zis. Als Rapperin eine grosse Nummer. In persona ein kleiner, grosser Star. Wäre Christina Ricci im gleichen Business tätig, sie könnte Big Zis’ Schwester sein. Kein stängeldürres Durchschnitts-Girlie. Eine mit runden Hüften, Muckies, braunem Pferdeschwanz und tief ins Gesicht fallenden Stirnfransen.



Eine Nummer für sich

Darüber sind sich auch die Medien einig. Auf die 26-jährige Big Zis stimmte die Presse bei Erscheinen ihres Debüts «Keini so» (Wrecked Records / Nation) unisono ein Loblied an. Doch Franziska Schläpfer alias Big Zis hebt wegen des medialen Monsterbeifalls nicht gleich vom Boden ab, im Gegenteil. Unvorbereitet sei sie gewesen, sagt die gelernte Zimmerin, die in der Vergangenheit zwischen Stuttgart und Zürich auch mal ein Haus besetzte. Und gibt zu bedenken: «Die, die wegen mir ins Schwärmen gerieten, sind ja keine wirklichen HipHop-Heads, sondern einfach Musikkritiker.» Darum bedeute dies nicht, dass die Leute, die tagtäglich HipHop hörten, gleicher Meinung seien. Zögernd räumt sie ein: «Natürlich bin ich stolz und erleichtert.» Trotzdem sei es «’ne krasse Erfahrung gewesen». Nachteile gebe es auch: «Wenn ich nun was Neues anpacke, denke ich schon an die Leute und ihre Erwartungen.»

Die sind vor allem bei jenen hoch, die Big Zis live erlebt haben. In weiten Jeans-Latzhosen – Träger nach unten – steppt sie vors Mikrofon und legt so locker los, als würde sie unter der Dusche und nicht vor Publikum singen. Mit Reimen wie «Häsch mi no niä gseh, abär für dich bin ich Gott, sälbscht wänn ich uf dini Bettwösch chotz. Wou sorry, aber bin nöd diä, wos wäg butzt, au nöd dä Schnäbizigär vo dim Schnidelwutz» («Imic») schlägt sie dem Publikum ihre Personal Poetry ins Gesicht, unterstützt von ihrer DJ-Partnerin Mad Madam. Die lässt fette Beats vom Stapel, scratcht routiniert, aber nicht routinemässig Runde um Runde, und schnell ist klar: Hier haben sich die richtigen zwei gefunden. Die eine bereit, für die andere den groovigen Teppich zu legen. Die andere imstande, sich dem Flow hinzugeben. Aufzuspringen. Gas zu geben. Zum allgemeinen Battle-Spass rappende Freunde zum Duell zu bitten. Dem Publikum nicht nur eine Seitenansicht, sondern die ganze Big-Zis-Palette zu präsentieren. Man kriegt mehr, als man erwartet hat. Und kann sich darum Big Zis’ Selbsteinschätzung im Stück «Keini so» leichten Herzens anschliessen: «Äs sind scho vill vor mir gsi, abär käni so real, käni so stil, käni so gigu, käni so wuaw!»



Big Zis: Zitrone und Zucker

Tatsache ist: «De usgwachsni Zwärg» (Big Zis über Big Zis) redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und was die nicht ganz stubenreine Sprache betrifft, so setzt sich die Rapperin mit den Jungs auf gleiche Höhe und erklärt mal einfach schnell, wie die Sache aus ihrem Blickwinkel aussieht. Über ihre Rhymes sagt sie: «Ich plane meine Texte nicht. Ich schreibe über das, was mich gerade beschäftigt. Im Rap ist das Verhältnis Mann–Frau oft Thema. Wie sie miteinander sind, was zwischen ihnen abläuft. Fast alles zielt darauf hinaus. Leider auch bei mir.» (Sie lacht laut und zuckt mit den Schultern). «Die Texte in meinem Album sind extrem provokativ und anstössig. Das heisst aber nicht, dass ichs auf der nächsten Platte genauso mache. Ich will mich nicht wiederholen. Und bin extrem persönlich drauf. Ich habe auch keine Lust, mich auf HipHop zu beschränken, sondern möchte den Horizont riesig machen.»



Next Generation

Und als Frau steht sie in der helvetischen HipHop-Landschaft zum Glück nicht ganz alleine da. Vorbei die Zeiten, als die eher brave Luana aus Basel weit und breit die einzige Deutschschweizer HipHop-Lady war und Déborah von Sens Unik landesweit der Zuckerguss von Sens Unik. In den Startlöchern steht die nächste Female-HipHop-Generation, die auch bereit ist, die Bühne alleine zu entern. Auf dem im Dezember erscheinenden «Sheheilig»-Tape (Eastbound/Nation) treten sie zum ersten Mal geschlossen auf: Zora aus Luzern, die in diesem Jahr mit ihrem ersten Soloalbum «Z-A» (Wrecked / Nation) auf sich aufmerksam machte, Wina aus Freiburg, MC Serena aus Effretikon, Meli & Bilä aus Zürich, femme*Os aus Aarau/Basel, Jess aus Horgen, Lost Cindarella und ceeMC aus Bern, Sarapunzlä aus Winterthur und last, but not least Big Zis, Sign Up und Mad Madam.

Die Frauen in einem Studio versammelt hat der Zürcher Gründer des Eastbound-Labels, Dela alias Istvan Cseh junior, 31. Nachdem er im Zürcher Jugi Kreis 5 vor zwei Jahren eine Jam-Nacht mit Frauen veranstaltet hat, doppelt er nun mit einem Tonträger nach. Auf «Sheheilig» rappt MC Serena auf Italienisch über ihre Probleme als Seconda, Meli & Bilä nerven sich über leere Versprechungen, Willa erklärt auf Französisch, weshalb sie geografische Grenzen krank machen.

Dela hat die Erfahrung gemacht, dass Frauen oft sozialkritischer texten als ihre männlichen Kollegen und allgemein mehr Abwechslung in die Szene reinbringen. «Musik hat für mich kein Geschlecht», sagt er. «Trotzdem wollte ich wissen, wo die Frauen stecken, die rappen. Meine Idee war, die Frauen zusammenzubringen. Nun hoffe ich, dass vor allem auch neue Projekte daraus entstehen.»

Im Falle von Big Zis, Mad Madam und Zora ist dies schon geschehen. Sie absolvierten in der Vergangenheit ein paar Gigs gemeinsam. «Wir sind alle drei ziemlich verschieden, das macht die Sache erst recht spannend», sagt Zora.

Die 27-Jährige mit bürgerlichem Namen Bianca Angela Litscher war früher Teil der Luzerner Gruppe Wrecked Mob. Die Beats auf ihrem Album «Z-A» liess sie sich zum grössten Teil von HipHoppern aus Deutschland, von Mirko Machine und Cullman (5 Sterne Deluxe) beispielsweise, Sepalot (Blumentopf), Tropf (Dynamite Deluxe) oder Thomilla (Turntablerockers), auf den Leib schreiben; Schweizer Produzenten wie Lexx und Tibner97ner (Gleiszwei) holte sie sich ebenso an Bord. Zora machte zum ersten Mal von A bis Z alles so, wie sie es im Kopf hatte. Damit gelang ihr ein Schritt in die richtige Richtung, konzentrierte sie sich doch aufs Wesentliche und verabreichte ihrer Platte eine ganz und gar persönliche Note. Im Stück «Alles nichts» kommentiert sie das tägliche Einstecken und Austeilen: «Über meinen Lebensstil braucht mich keiner zu fragen, da ich mir alles erlaub, brauch ich auch keinen zu haben. Im Gegensatz zu dir ertrag ich Pleiten mit Stil. Zieh von hier nach hier, denn mein Ziel ist das Wandern. Und richtig, ich fang nicht an zu jammern.»

Nicht nur ihre Band Wrecked Mob hat Zora hinter sich gelassen, in ein paar Monaten will sie überhaupt ihre Zelte in der Schweiz abbrechen und nach Hamburg ziehen. Ist es ihr in der eigenen HipHop-Heimat zu eng geworden? «In der Schweiz habe ich bis jetzt meine ganze Zeit verbracht», sagt Zora. «Jetzt will ich weitergehen, Neues entdecken. Ich denke, in Deutschland ist eher mein Platz, und die CD im Gepäck hilft mir, in gewisse Kreise reinzukommen.»



Regelmässig Battle-Texte

Das würde MC Serena aus Effretikon wahrscheinlich auch gefallen. Vorderhand muss sie aber noch hierzulande mit den Vorurteilen zurechtkommen, die sie als Seconda zu spüren bekommt. Die täglichen Anfeindungen, die ihr als Italienerin in der Schweiz begegnen, thematisiert sie im Track «Straniero» auf dem «Sheheilig»-Tape. 1999 hat sie zum ersten Mal am Swiss Freestyle Battle teilgenommen. Als einzige weibliche MC flog sie bereits in der ersten Runde raus. Ein Jahr später wagte sie nochmals einen Versuch und landete auf Platz drei. Dafür verantwortlich, dass aus ihr überhaupt eine Rapperin geworden ist, sei die italienische HipHop-Gruppe Articolo 31. Mit deren Texten konnte sie sich identifizieren. «Seit ich selber in meiner Muttersprache Italienisch rappe», sagt sie, «kann ich die italienische Kultur besser ausleben.» Dass man in der Schweiz als Ausländerin einen Stempel aufgesetzt bekommt, gibt ihr zu denken. Darum fliesst diese Problematik oft in ihre Texte ein: «Ich habe darunter gelitten und will mir das Ganze nun quasi von der Seele rappen.» Trotzdem findet sie, dass sozialkritische Texte nicht unbedingt Frauensache seien. «Ich schreibe auch regelmässig Battle-Texte», sagt sie, «das macht mir mindestens so grossen Spass wie den Jungs.» In der HipHop-Szene sei man viel mit Männern zusammen, vielleicht habe dies am Ende auch auf sie abgefärbt.

Big Zis und Mad Madam betonen, dass sie sich am Anfang gar keine Gedanken darüber gemacht hätten, dass sie in der Szene fast die einzigen Frauen seien. Das sei erst im Nachhinein gekommen, als sie vermehrt darauf angesprochen wurden. Big Zis ist als HipHopperin alleine ihren Weg gegangen, weil sie sich zusammen mit Männern vor dem Mikrofon nie so richtig wohl fühlte. Einen weiblichen DJ habe sie sich deswegen nicht gesucht. Aber zum Glück Mad Madam gefunden.





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