Notizen nach drei Tagen in Oslo, um gegen die Weltbank zu demonstrieren
Ich bin zurück von der grössten und fröhlichsten politischen Demo, an der ich jemals teilgenommen habe – 12000 Leute waren es, die am Montag ab 18 Uhr in Oslo gegen die Politik der Weltbank demonstriert haben. Trotz Panikmache und Hetze in den Medien und Einschüchterungsversuchen der Polizei (die uns Auswärtige u.a. daran hinderte, in einer Schule zu übernachten), lief alles friedlich ab. Mehr noch: Die Demo war ein Fest, ein multikulturelles sogar.
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals gutgelaunt von einer Demo gekommen zu sein. Es wurde getanzt (Samba!), gesungen, gelacht. Leute aus allen Schichten, allen Alters kamen. Positiv überrascht war ich darüber, dass so viele Ausländer dabei waren: Palästinenser, Kurden, jede Menge Südamerikaner, viele Afrikaner. Neben mir einer hatte einer den Name seines Landes – Somalia – auf sein Schild mit dem Text “Streicht die Schulden der Drittweltländer” geschrieben. Ich trug mit zwei anderen das Banner von Attac Norwegen, vor uns Vegard Hole, der Vorsitzende, ein 23jähriger und seine Stellvertreterin Bente Aasjord, um die 40, ehemals Vorsitzende des Naturschutzverbundes. Hinter uns der Parolenausrufer, ein Rentner, laut eigenen Angaben 75 Jahre alt. Wir brüllten aus vollen Kehlen diverse Versionen von “Our world is not for sale” und “Schuldenstreichung jetzt!”
Ungewöhnlich waren für mich auch die Reaktionen meiner Arbeitskollegen – oder besser der Stimmungsumschwung. Plötzlich spürte ich Zustimmung, manche wären plötzlich gerne auch dabei gewesen. Auch die Medien gaben sich freundlicher und schrieben von Volksfest und “politischem Karneval”. Vor der Demo war ich mir etwas “extrem” vorgekommen, scherzte mit anderen, ich ginge Pflastersteine werfen. Auch noch so viele Liveschaltungen und ungeduldiges Nachfragen des Nachrichtensprechers an den Mann vor Ort “Ist jetzt endlich etwas passiert?” gaben ihnen nicht Stoff für die erhofften Schlagzeilen.
Mit Kreativität überzeugen
So soll es doch sein. Mit positiven Botschaften und Kreativität gewinnt man Sympathien für seine Standpunkte. Das war die Strategie vom Buendnis Oslo 2002, darunter Attac, von Anfang an gewesen. “Eine andere Welt ist möglich”, davon waren wir alle überzeugt. Nach der Demo noch mehr als zuvor.
Wer hätte gedacht, welch breite Unterstützung Forderungen nach einer gerechteren Weltwirtschaft haben? Ich denke nicht an die Berufsdemonstranten und die alten Haudegen von den extremen Linken. Eher an die vielen Ausländer, ganze Familien waren da, die vielen Älteren, der Jugendverein der Zentrumspartei oder die Nynorsk-Fanatiker, die Gewerkschaft der Lokomotivfahrer und die auffallend vielen jungen Leute um die 20. Im Attac-Bus von Stavanger, mit dem ich fuhr, war ich mit meinen 32 Jahren einer der Ältesten. Und ich bin sicher, es wären noch mehr gekommen, hätten Polizei und Medien nicht tagelang vor Strassenschlachten gewarnt (und hätten sie nicht eine Stunde vor der Demonstration sämtlichen öffentlichen Verkehr im Zentrum eingestellt).
Die Demo war ganz klar der Höhepunkt der drei Tage in Oslo. Am Samstag abend, kurz nach 21 Uhr kamen wir an in Oslo. Auf dem Weg aus dem Bus wurden wir bereits von einer Fernsehkamera von TV Norge gefilmt. Danach informierte uns der Attac Norwegen Vorstand in den Räumen einer Solidaritaetsorganisation im Zentrum über den Ablauf, erklärten ihre “Nicht-Gewalt-Strategie”, verteilten ihre Telefonnummern. Eine Journalistin vom öffentlich-rechtlichen Kanal NRK hörte zu. Anschliessend verteilte sich die Gruppe, alle hatten Unterkunft bei Freunden und Bekannten gefunden.
Gegenkonferenz: Weltbank musste sich Kritikern stellen
Am Sonntag morgen startete die Gegenkonferenz. 550 Leute kamen, Schüler mit zerrissenen Jeans mischten sich zwischen Professoren und Politikern. Im Vorfeld hatte es heisse Debatten gegeben: Soll Attac die Einladung annehmen und an der Konferenz der Weltbank teilnehmen? Der Vorstand hatte JA gesagt, die Mitgliederversammlung waren dagegen: Man würde nicht auf Attac hören, die Einladung sei ein Alibi, um sagen zu können: Wir reden mit unseren Kritikern. Ich war froh, dass es diese Gegenkonferenz gab, war sie doch eine einmalige Gelegenheit, von Fachleuten mehr zu erfahren über die Machenschaften der Weltbank. Die Entscheidung führte auch zu einer ausführlicheren Berichterstattung über die Anliegen der Demonstranten. Und die Forscher und Chefs der Weltbank wurden noch mehr ins Licht der Öffentlichkeit gezwungen, konnten nicht unter sich im Luxus-Konferenzhotel auf dem Holmenkollen unter sich bleiben.
Die Konferenz war öffentlich, für 50 Kronen, knapp 7 Euro, (freiwilliger Beitrag) war man dabei.
II
Die Konferenz zeigte vor allem eins: Befürworter und Kritiker der Weltbank leben in verschiedenen Welten, daher ist Kommunikation schwierig. Beide Seiten gehen von einem unterschiedlichem Grundverständnis aus: Wann kann man von Demokratie sprechen, von Mitspracherecht der Beteiligten? Was ist nachhaltig? Wer gilt als arm? Was ist Gerechtigkeit?
Die Weltbank räumt inzwischen ein, dass ihre Strukturanpassungsprogramme der 80er-Jahre gescheitert sind. Der Vizepraesident betonte, mit ihren Poverty Reduction Papers (PRP) beschritten sie Neuland, sie hätten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Man stelle den armen Laendern vor der nicht mehr so rigide Bedingungen, wollten sie einen Kredit aufnehmen. Immer mehr würden sie Projekte im Bildungs- und Gesundheitswesen fördern, Armutsbekämpfung stünde im Zentrum ihrer Arbeit. “Our dream is a world without poverty” – mit dieser Aussage werden die Besucher der Hompage der Weltbank begrüsst. Selbst mit ihren Kritikern seien sie in den Dialog getreten.
Die Kritiker dagegen meinten, es hätte sich kaum etwas geändert, nur die Rhetorik. Die Weltbank (und die Zwillingsinstitution Internationale Währungsfond) sei ein ideologisches Projekt. Kreditwürdig ist ein Land nur, wenn es auf die alten Rezepte Freihandel und Privatisierung setzte. Auf die armen Länder würde nicht gehört, weiterhin hat in der Weltbank derjenige am meisten Stimmen, der über am meisten Kapital verfügt. Die Wirtschaftspolitik der Länder des Südens wird quasi in Washington, wo der Hauptsitz der Weltbank ist, bestimmt.
“Der Norden schuldet uns mehr als wir ihm”
Aus einer Studie, in der die Weltbank zusammen mit ihren Kritikern die Folgen ihrer Politik untersuchte (SAPRIN-Studie), zog sich die Weltbank zurueck, nachdem bekannt geworden war, dass das Ergebnis nicht ihren Erwartungen entsprach. Es wurde die Forderung nach anderen Erfolgskriterien als die Minderung von Armut laut: Hat man das Problem an der Wurzel gepackt und z.B. eine Landreform in die Wege geleitet? Zugang zu Land und den Ressourcen sei für die arme Bevölkerung ein Schlüsselfaktor. Doch solche Projekte würde die Weltbank nie angehen. Sie sehe auch nicht ein, dass bestimmte Schulden illegitim seien. Zahlreiche Diktatoren hätten Kredite von der Weltbank bekommen und das Geld in die eigene Tasche gesteckt. Diesen Schulden müssen jetzt junge Demokratien abbezahlen.
“Der Norden schuldet uns mehr als wir ihm.” So kann man die Meinung vieler zusammen fassen. Sie lieferten zahlreiche Beispiele davon, wie die Weltbank-Politik zu mehr Armut geführt hat, zum Ruin öffentlicher Institutionen, zum Ausverkauf des Landes und seiner Ressourcen an multinationale Gesellschaften.
In den parallel verlaufenden Seminaren am Nachmittag wurden einzelne Aspekte vertieft. Ich entschied mich für die Seminare “Flexibilisierung und Arbeitnehmerrechte” und “Nahrungssicherheit”.
“Wer isst Blumen?”
Beide Seminare zeigten auf, wie problematisch die Forderung der Weltbank ist, seine Wirtschaft auf Export auszurichten und die Märkte zu öffnen für Waren und Investitionen aus dem Westen. Notwendige Lebensmittel verschwinden aus dem Land. Die Philippinen importieren (!) Reis. Dabei ist es einer der grössten Reisproduzenten der Welt. Um an die für den Handel erforderlichen Dollars zu kommen, setzt man auf “cash-crops”: Man produziert Waren, mit denen sich Geld machen lässt, einen aber nicht unbedingt satt machen. Kenya setzt auf Blumen. 20% aller Blumen in den Blumenläden der EU stammt aus Kenya. “Wer isst Blumen”, fragte rhetorisch Helen Wangusa, Leiterin des African Women’s Economic Policy Network aus Uganda. 25% der Argentinier sind arbeitslos, 55% leben unter der Armutsgrenze. In einem Land, das Nahrungsmittel für 300 Millionen Menschen produziert, hungern Leute! “Argentinien ist ruiniert durch die Politik der Weltbank”, sagte Jorge Smith, Gewerkschaftschef einer grossen Schiffswerft in Buenos Aires.
Kritisiert wurden die Agrarsubventionen in den reichen Ländern. “Es ist okay, die Landwirtschaft zum Schutz der eigenen Wirtschaft zu subventionieren, aber nicht auch für den Export, weil man da die armen Länder auskonkurriert.”
Als grosse Bedrohung sieht Aksel Nærstad von der norwegischen Organisation U-fondet (Entwicklungsfond) den Einzug von genmanipulierten Produkten. Diese machten die Bauern von den multinationalen Firmen (sieben Firmen stehen für 70% des weltweiten Getreidehandels) völlig abhängig. Saat kann nicht geerntet, sondern muss nachgekauft werden. Lokale Arten verschwinden. Von einst 1000 Reisarten in den Philippinen seien schon jetzt nur noch sieben bis acht übrig.
Kommunikationsschwierigkeiten
Die abschliessende Podiumsdiskussion, wo die norwegische Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Hilde Frafjord Johnson, und der Vize-Praesident der Weltbank Mats Karlsson anwesend waren, war enttäuschend. Und zwar eben wegen diesen oben erwähnten Kommunikationsschwierigkeiten. Der Moderator hätte jedoch auch aktiver werden können. Weder die Regierungsvertreterin noch der Weltbankvize konnten glaubhafte Argumente für die Weltbankpolitik vorbringen.
“Wir brauchen die Weltbank nicht, wir kommen alleine zurecht”. Den Satz hörte man mehrmals. Zwar räumten die Kritiker ein, dass die Weltbank nicht an allem schuldig ist und dass sich die Weltbank langsam ein klein wenig ändert. Doch Zweifel dominierten: Lässt sich solch eine ideologisch ausgerichtete Institution überhaupt reformieren?
MEHR IM NETZ:
Wikipedia über die Proteste (englisch)
Webseite der Organisatoren der Proteste (norwegisch / englisch)
Chaos in Laos? Weltbank und Deutschland unterstützen Staudammprojekt (ngo-online, 1.4.05)
Tansania: Weltbank setzt Wasserprivatisierung durch: Die Rendite aus dem Wasserhahn (WoZ, 14.11.02)
Neues Weltbank-Projekt: Schulden fuer Uganda, Gewinne fuer Amerika (Spiegel, 10.07.02)
Nützliches Insiderwissen ueber Weltbank und IWF – Ueber Stiglitz’ Buch Die Schatten der Globalisierung (WoZ, 17.10.02)
UN Human Development Report fordert zum ersten Mal Demokratisierung der Weltbank (The Guardian, 24. Juli 2002)
Reformen sind nicht in Sicht (Auf der Frühjahrstagung in Washington soll erstmals über Reformen der Führungsstrukturen von IWF und Weltbank diskutiert werden, taz, 12.4.03)
Letzter Link-Check: 20.6.2021