Neue Wege in der Flüchtlingspolitik Norwegens
Ein Projekt in 16 Gemeinden, in dem Flüchtlingen Lohn statt Sozialhilfe ausbezahlt wurde, ist erfolgreich abgeschlossen worden. Diese Praxis wird ab dem 1.9. 2003 schrittweise in ganz Norwegen eingeführt. Sie ist Teil eines neuartigen Einführungsprogramms, das obligatorischen Norwegischunterricht und Massnahmen beinhält, die Flüchtlinge möglichst rasch in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt integrieren soll.
Seit Mitte der 80er-Jahre sind Menschen aus Afrika und Asien ein alltäglicher Teil des Strassenbildes in Norwegen geworden. 20 Prozent der Bevölkerung in Oslo stammen nicht aus Norwegen. Gut drei Viertel der Bus-, Strassenbahn-, U-Bahn- und Taxifahrer sind Asiaten und Afrikaner. In den Orten an der Küste Finnmarks östlich des Nordkapps, machen Tamilen nicht selten zehn Prozent der Bevölkerung aus. Sie sind zum grössten Teil in der Fischindustrie angestellt, in der Norweger inzwischen in der Minderheit sind: Diese Art von Arbeit gilt als unattraktiv.
Von Anfang an war das Ziel norwegischer Flüchtlingspolitik, “die neuen Landsleute” über das ganze Land verstreut anzusiedeln. Fast jede noch so abgelegene Gemeinde nimmt mindestens zehn neue Flüchtlinge pro Jahr auf, die Arbeit koordiniert eine kommunale Flüchtlingsbeauftragte. Man muss jedoch unterscheiden zwischen Arbeitseinwanderern (die pakistanischen Taxifahrer in Oslo und die Tamilen im Norden z.B.) und Flüchtlingen. Mitte der 70er-Jahre hat Norwegen einen Einwanderungsstopp verhängt. Seitdem ist es fast unmöglich für Leute ausserhalb Europas, in Norwegen eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen.
Norwegen führt eine sehr restriktive Politik. Drei Viertel aller Asylbewerber werden wieder zurückgeschickt. Nur 2% erhalten den begehrten Status als Flüchtling, jedem fünften wird Aufenthalt aufgrund humanitärer Gründe gewährt.
In den achtziger und neunziger Jahren kamen hauptsächlich politische Flüchtlinge aus Pinochets Chile, aus dem Iran Khomeinis, aus Sri Lanka, Vietnam, dem türkischen Kurdistan, Somalia und dem ehemaligen Jugoslawien. In letzter Zeit nahm Norwegen hauptsächlich Flüchtlinge aus Irak, Afghanistan und Somalia auf.
Nach einer oft langen Periode des Wartens in einem Asylbewerberheim dürfen die Auserwählten in eine Gemeinde ziehen, wobei die Ausländerbehörden versuchen, auf die Wünsche der Flüchtlinge Rücksicht zu nehmen. Viele haben bereits Familie und Bekannte in Norwegen und möchten in deren Nähe wohnen. Das erleichtert die Integrierung. Die Gemeinde stellt Wohnung – und das Sozialamt Geld zum Leben.
Bislang mussten Flüchtlinge zu viel Zeit mit Gängen zum Sozialamt und der Bürokratie verbringen. Viele Flüchtlinge blieben Sozialhilfeempfänger. Besonders die gut ausgebildeten und studierten Flüchtlinge hatten Probleme, finanziell unabhängig zu werden.
Diese Entwicklung hat weder die Flüchtlinge noch die öffentliche Hand zufrieden gestellt. Viele Flüchtlinge möchten ihr Geld selbst verdienen, sich nützlich machen. Kommunen und Staat klagten über die finanzielle Last. Die Vermutung wurde laut, die Sozialhilfe trage Schuld an der Misere, weil sie die Flüchtlinge zu passiven Empfängern von Hilfe machte.
Man sah ein, dass ein Umdenken nötig war: Statt Sozialhilfe sollen Flüchtlinge eine Art Lohn erhalten, der an die Teilnahme eines obligatorischen Integrationsprogrammes geknüpft ist. Es ist der Job der Flüchtlinge, sich zu qualifizieren für das Leben in Norwegen, und zwar 37,5 Stunden in der Woche – wie jeder Norweger. Das Programm soll grundlegende Kenntnisse in norwegischer Sprache und Kultur vermitteln und durch Kurse und Praktika den Einstieg ins Arbeitsleben erleichtern.
1998/99 haben 16 Gemeinden Versuchsprojekte gestartet. Allen gemeinsam waren folgende Massnahmen:
- eine systematischere individuelle Karriereplanung
- vereinfachte Anerkennung ausländischer Ausbildung
- bessere Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt
- individuell zugeschnittener Sprachunterricht mit Landeskunde
- Sprachpraktika in Betrieben
- kontinuierliche Begleitung des Flüchtlings, Gespräche
Manche Gemeinden zahlten den Flüchtlingen den üblichen Unterstützungssatz für Kurse von ca 26 Euro/Tag aus, andere stellten die Flüchtlinge für die Dauer des Programms offiziell bei der Gemeinde an. In allen Fällen war das Einkommen steuerpflichtig.
Und das Ergebnis? Laut einer offiziellen Studie erlebten die Flüchtlinge das Programm als sehr positiv und fanden es angemessen, dass man Forderungen an sie stellt. In einem Zeitungsartikel (Stavanger Aftenblad) sagt eine Syrierin, dass sie froh sei, nicht mehr tagsüber untätig herum zu sitzen, sie hätten da untereinander nur über ihre Probleme geredet. Der Lohn sei zwar nicht viel höher als die Sozialhilfe. Doch, sagt sie, “Ich verdiene jetzt mein eigenes Geld. Das ist eine Selbstbestätigung und ich mache mich nützlich.” Sie hat wie viele Flüchtlinge eine Universitätsausbildung hinter sich und betreut jetzt Kinder und erteilt Nachhilfe in Mathe und Physik an der örtlichen Schule.
Die Projektteilnehmer erzielten bessere Ergebnisse als Flüchtlinge in Gemeinden, die nicht an dem Projekt teilnahmen. Die Praxis, den Lohn an Einzelpersonen und nicht an Familien auszuzahlen habe stimulierend auf die Teilnahme von Frauen in der beruflichen Qualifizierung gewirkt.
“Damit hätte man vor zehn, 15 Jahren anfangen müssen”, sagt Atle Berge vom staatlichen Direktorat für Ausländer (UDI). “Das Geld, das wir dafür ausgeben, wird dadurch wieder eingespart, indem die Flüchtlinge schneller einen Job bekommen und Steuern bezahlen anstatt Sozialhilfe beziehen.” Das Einführungsprogramm, so Kommunalministerin Erna Solberg, schaffe also eine “Win-Win-Situation” für die Kommunen und die Flüchtlinge.
Ab dem 1.9.2003 ist das Einführungsprogramm gesetzlich verankert. Es steht den Gemeinden aber frei in einer Übergangsphase von einem Jahr frei, daran teil zu nehmen oder nicht. Nach zwei (in Ausnahmefällen – drei) Jahren – dann soll das Programm abgeschlossen sein – steht den Teilnehmern Arbeitslosengeld zu, wenn sie dann noch keinen Job gefunden haben.
:MEHR IM NETZ:
Norwegen – ein multiethnisches Land
Text, geschrieben vom Ethnologen Thomas Hylland Eriksen (Dezember 2000)
Skandinavische Antworten auf Einwanderung: Wie haben Dänemark, Norwegen und Schweden in der Nachkriegszeit auf Einwanderung reagiert? (Karin Borevi, Bundeszentrale für politische Bildung 20.5.2020)
Text geschrieben: 22.01.2002, aktualisiert 17.12.02, letzter Link-Check 15.6.2021