Systemdenken und Modellieren

theoretische und methodische Ueberlegungen zur Nachhaltigkeit




Die Grundlage von Umweltmassnahmen (und jeder Politik im allgemeinen) muss systemisches Denken sein. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein. Nur wird es meist nicht praktiziert. In der Regel werden die Auswirkungen einzelner Handlungen oder Massnahmen unterschätzt. Lineares Denken dominiert. Wenn ich Alkohol verteuere, würde automatisch weniger getrunken - das ist die gedankliche Grundlage der norwegischen Alkoholpolitik. Dafür nimmt allerdings das Schwarzbrennen zu, die Konzentration des Trinkens aufs Wochenende in umso höheren Mengen. Die Folge: Die wenigsten Norweger können mit Alkohol umgehen - das Ergebnis ist weit vom Ziel entfernt.

Man denkt nicht weit genug. Die Wirkungskette hört bereit beim erwünschten Zielzustand auf. Ich habe mir an anderer Stelle Gedanken über die restriktiven Sicherheitsmassnahmen beim World Economic Forum in Davos als Beispiel für lineares Denken nachgedacht (mein Text).

Systemisches Denken möchte ich darstellen:


Komplexe Probleme sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Feedback-Prozesse auslösen, die in Wechselwirkung zu sich und mit ihrer Umwelt treten - und dies oft zeitlich verzögernd. Welche Folgen die Liberalisierung der norwegischen Alkoholpolitik z.B. hat, das lässt sich mit herkömmlichen Methoden schlecht voraus sagen. Das Systemdenken mag da helfen. Das Systemdenken ist vom Leitbild getragen, dass das Verhalten aller Systeme (z.B. das System Alkoholkonsum) bestimmten Prinzipien folgt, die man erforschen und beschreiben kann. Das System beeinflusst unser Verhalten! Mittels Modellierung kann man die Haupttriebkräfte eines Systems ausfindig machen und damit erfahren, wo man eingreifen kann. Zur Modellierung werden sämtliche Einflussgrössen gesammelt und in Bezug zueinander gesetzt. Mit einem Computerprogramm (Stella) kann man die Folgen von Handlungen simulieren.

Diese Methode stellt grosse Herausforderungen. Ein Team muss es erarbeiten, interdisziplinär muss es zusammen gesetzt sein, um der Komplexität des Themas Rechnung zu tragen. Die Methode ist zeitaufwendig, da sie Einbezug der Akteure voraussetzt. Zu jeder Modellierung gehört die Erfassung der mentalen Modelle der im System involvierten, der Vorstellungen und Grundannahmen, die das Handeln bestimmen.  Dahinter steckt die Ueberzeugung, dass viele Erkenntnisse nicht umgesetzt werden, weil sie im Widerspruch zu stummen, aber machtvollen mentalen Modellen stehen. Diese kann man sich aneignen durch ethnologische Feldarbeit und/oder durch Workshops mit Betroffenen: Gespräche, in denen man beispielsweise die wichtigsten Aspekte zum Thema auf Karten schreiben und logisch anordnen lässt und sich die Geschichte dazu anhört. In einem zweiten Schritt können die ausgearbeiteten Modelle gemeinsam mit allen Befragten besprochen ggf korrigiert werden. Das ist ein langer aber lohnender Prozess, der gegenseitiges Vertrauen voraus setzt. Zum oben erwähnten Team sollten nicht nur die Wissenschaftler zählen, sondern die Betroffenen auch. Modellieren ist ein Aspekt von Teamlernen, das die Bereitschaft voraus setzt, dass man eigene Annahmen aufheben und sich zu einem gemeinsamen Denken einlassen kann.

(eine einfache Einführung)
(Projektbeispiel von Johannes Heeb)
(Themenübersicht mit Links)
 

Mental Modelling im Altersheim

Die Umsetzung der Systemperspektive zeige ich jetzt kurz an einem Beispiel auf. Ein grosses Problem in jeder Küche sind Essensreste. Wie kann man sie verhindern? Wie kann man überhaupt ökologisch bzw nachhaltig kochen? Dies war die Ausgangsfrage eines Projektes. Ziel war herauszufinden, wo man im System Küche am wirkungsvollsten eingreift.

Dafür kreierten wir ein Modell, in dem sämtliche Abläufe im System Küche vom Einkauf bis zur Essenauslieferung und zum Abfall dargestellt sind, inklusive die wichtigsten Faktoren, welche Entscheidungen in diesem Prozess beeinflussen. Um letztere heraus zu bekommen, haben wir in mehreren Runden mit Beteiligten gesprochen und ihre Mental Modells offen gelegt: Pfleger, Köche, Bewohner, Heimleiter. Verbesserungsmassnahmen wurden mit ihnen diskutiert, um sicher zu stellen, dass sie umsetzbar sind und von den Betroffen mitgetragen werden. Wichtig war auch die Arbeit an uns als Gruppe, um im Team kreativ arbeiten zu können.

Auf diese Weise sind verblüffende Resultate zustande gekommen. Beispielsweise, dass es den Senioren Mühe macht, die Menuekarte zu lesen, da zu viele Fremdwörter vorkämen. Oder unnötige Verzögerungen im System. Essensbestellungen werden erst für den übernächsten Tag aufgegeben. Erstaunlich war ebenfalls, dass gar nicht so wenige für fleischlose Alternativen zu haben waren und für kleinere Portionen. Auffallend war, dass alle eine ungenügende Kommunikation nannten. Auf der anderen Seite mussten wir erkennen, dass auch dem Heim die Hände gebunden waren, da sie sich an Hygieneverordnungen im Lebensmittelgesetz halten mussten. Die Kenntnisse des Gesetzes waren jedoch lückenhaft, es stellte sich heraus, dass die Vorschriften oft nur Rahmenbedingungen darstellen, die persönlichen Spielraum zulassen.

Im Detail bekamen wir für die einzelnen Teilmodelle folgendes heraus:
 

  • Modell Nahrungsmittelfluss: Nahrungsmittel kommen ins Heim, verschwinden im Magen oder verlassen das System als Abfall. Die wichtigsten Regler sind Einkaufsmenge, Essensmenge und Anteil Verzehr. Verbesserungen sind erreichbar durch Information über Bestellungen und optimierter Kommunikation im Heim, Ressoucenbereitstellung für die Erhöhung des Anteils an Frischprodukten, Kundenorientierung in Bezug auf Portionengrösse und richtige Menuewahl (Verzicht auf Fremdwörter)
  • Modell Energieverbrauch: An dieses Modell ist das Stoffflussmodell angegliedert. Ergebnisse: Die übliche Schockkühlung und Regeneration der Speisen bewirken eine Verdopplung des Energieverbrauchs.
  • Modell Wasser- und Reinigungsmittelverbrauch: wurde nicht quantifiziert
  • Modell Umweltbelastungen: Alle bisher genannten Umweltbelastungen wurden zusammen gefasst. Wichtige Einflussfaktoren sind Produktionsweise und Herkunft der Nahrungsmittel. Je mehr Bio-Produkte verwendet werden und je näher der Produktionsort beim Heim liegt, desto weniger Umweltbelastungen fallen an. Weniger wichtig sind Verpackung und der Transport durch den Lieferanten.


Natürlich hat auch dieser Ansatz seine Schwächen. Er steht und fällt mit der Kompetenz, dem Willen und der Geduld der Beteiligten, ihn durch zu ziehen. Ist dies alles vorhanden ist der Weg zur Problemlösung, die alle mittragen eher zu finden als mit der Sicherheitspolitik in Davos. Die Lösungen sind oft verblüffend einfach und haben grosse Wirkung (z.B. Fremwörter im Menuplan vermeiden). Einen Punkt habe ich noch nicht erwähnt - den Prozess des miteinander Schaffens: schon der allein kann Wunder bewirken.
 
 

Oeko-Bilanz und Stoffstromanalyse

Diese beiden Punkte werde ich nur streifen. Eine Oeko-Bilanz (Life Cycle Analyse, LCA) beurteilt den Einfluss des Produktes auf die Umwelt von Herstellung bis zum Verbrauch. Dem Instrument liegt das Konzept des Life Cycle Thinking zu Grunde.

Die Stoffstromanalyse ist noch umfassender. Sie geht Fragen nach wie: Welche Stoffströme bewegt eine Durchschnittsfamilie - für Wohnen, Verkehr, Freizeit und Urlaub? Wo liegen Knackpunkte, wie kann man ansetzen. Werkzeug hierfür ist das Computerprogramm GEMIS. Ein Instrument zur Erfassung und Quantifizierung von Stoffströmen ist der "ökologische Rucksack". Die Herstellung von einem Liter Orangensaft verursacht je nach Herkunftsland bis zu 100kg Erd- und Wasserbewegungen. Die Herstellung eines Autos geht mit dem Anfallen von 15 Tonnen fester Abfälle einher, nicht mitgerechnet das dabei verbrauchte und verschmutzte Wasser (ausführlicher Text).

Ueblich ist die Einheit mips (Material-Input pro Stück), die vom Wuppertal-Institut entwickelt wurde (nähere Infos)